Barock-Heroen aus Göttingen

 

Auf die Partie des Polinesso in Händels Ariodante scheint der französische Countertenor Christophe Dumaux geradezu gebucht zu sein. Auf vielen internationalen Bühnen und bei großen Festivals (wie den Salzburger Pfingstfestspielen 2017 neben Cecilia Bartoli ) hat er sie verkörpert. Und mit der kämpferischen Szene des intriganten Herzogs, „Dover, giustizia, amor“, beginnt auch das neue Recital des Sängers mit dem Titel Handel Arias, das ACCENT als Live-Mitschnitt von den Internationalen Händel Festspielen Göttingen 2019 auf CD veröffentlicht hat (ACC 26413). Es sind das charakteristische, unverwechselbare Timbre des Counters, seine fesselnden Interpretationen und die unangefochtene Bravour, welche Dumaux zu einer Ausnahmeerscheinung in seiner Gilde machen. Später folgt noch Polinessos  Arie aus dem 1. Akt, „Spero per voi“, die sich spielerischer und kokett gibt, dem Interpreten ganz andere Facetten abverlangt.

Natürlich interpretiert der Franzose auch die positiven und siegreichen Helden des Komponisten, wie den Bertarido in Rodelinda, dessen zentraler Auftritt mit „Pompe vane di morte/Dove sei“ gleich im 1. Aufzug erfolgt und einen gesanglichen Höhepunkt des Werkes darstellt. Dumaux weiß diesen mit packendem Ausdruck wie betörender Stimmführung auch in seinem Programm zu einer Glanznummer zu machen. Auch die Titelfigur in Giulio Cesare zählt zu dieser Kategorie, obwohl Dumaux zumeist mit der Partie des hinterhältigen Tolomeo besetzt wird (wie in Wien und Chicago). Mit „Aure, deh, per pietà“ singt er Cesares sehnsuchtsvolle Arie aus dem 3. Akt, die er mit einem schwebenden Ton mirakulös beginnt und auch danach mit wunderbar weichen Klängen betört.

Die Titelrolle im Orlando gehört zu den Favoriten des Sängers, weshalb er drei Soli des umnachteten Ritters für sein Programm ausgewählt hat. Er beginnt mit der Wahnsinnsszene aus dem 2. Akt, „Ah stigie larve/Vaghe pupille“, lässt danach das Bravourstück aus dem 1. Akt, „Fammi combattere“, folgen und endet mit dem todesmutigen „Già l’ebro mio ciglio“ aus dem letzten Aufzug. Im ersten Titel fasziniert der Interpret mit einer effektvollen und lautmalerischen Gestaltung des Rezitativs und einer an Farben reichen Arie. Die virtuosen Koloraturläufe des zweiten absolviert er mit stupender Sicherheit und Bravour, bewegend ist die träumerische Stimmung des dritten Titels.

Aus Rinaldo stellt Dumaux sogar beide Kastratenrollen vor – den Goffredo mit „Sorge nel petto“, in welchem der Oberbefehlshaber die Kreuzritter mit Siegesgewissheit zum Kampf gegen die Sarazenen aufruft, und den Titelhelden mit dem schmerzlichen „Cor ingrato“ aus dem 1. Akt. Damit endet das Recital eher zurückhaltend, doch hatte es vor dieser letzten Nummer mit Egeos furiosem „Voglio stragi“ aus Tolomeo noch einen spektakulären Beitrag mit Noten vom Sopran bis zum Bariton gegeben.

Begleitet wurde der Solist vom FestspielOrchester Göttingen unter seinem versierten Leiter Laurence Cummings. In der Mitte des Programms hat der Klangkörper auch Gelegenheit für einen instrumentalen Beitrag mit dem Concerto grosso Nr. 8 in c-Moll HWV 326. Die sechs Teile der Komposition sind sehr abwechslungsreich: Die eröffnende Allemande ist ein munterer und feierlicher Auftakt, das folgende kurze Grave ein Stück mit gewichtig  schweren Akkorden, das Andante allegro graziös, das Adagio erinnert an Cleopatras  „Piangerò“, die Sciliana sanft wiegend, das finale Allegro stürmisch eilend. Das differenzierte und Affekt reiche Spiel des Orchesters wird hier effektvoll ausgestellt. Bernd Hoppe