Aus den Anfängen

 

Die Bekanntschaft mit der Stimme Janet Bakers eröffnete mir ein Universum! Ein Fenster tat sich auf in eine Welt, die ich vorher nicht kannte – Lieder von Fauré, Débussy oder Fauré, Schumann oder vor allem Schubert, der damals für mich – mit meinen Anfang Zwanzig – nicht wirklich auf meiner Agenda stand. Ich war ein fast ausschließlicher Opernmann, saß jeden Abend auf dem 2.. Rang der Deutschen Oper Berlin und lernte Repertoire mit wirklich guten Sängern des Hauses – Inge Borkh, noch Margarete Klose, Christa Ludwig, aber eben auch die von mir damals stark unterschätzte Gladys Kuchta.

Janet Baker als Penelope/Monteverdi in Glyndebourne 1970/youtube

Janet Baker als Penelope/Monteverdi in Glyndebourne 1970/youtube

Mehr durch Zufall empfahl mir ein Verkäufer im damaligen Platten-Mekka Berlins, Bote & Bock im Europa-Center, die Baker, eben Schubert-Lieder („Hören Sie doch mal hinein, das ist was für Sie!“), und ich bin Peter B. wirklich mein Leben lang dankbar für diesen Höranstoß. Denn nur wenige Stimmen haben mich mit einem so persönlichen Ausdruck, mit einer solchen Intensität und vor allem auch mit einer solchen präzisen Diktion (fast ohne jeden Akzent und absolut idomatisch) wieder so erreicht. Wie gesagt – ein Fenster tat sich auf in eine neue Welt.

 

Ich bin der Baker hinterher gereist, erlebte sie in Endiburgh 1969 bei den Festspielen als intensivste Berlioz-Dido (hocherkältet mit weißem Hankie im Ausschnitt neben Helga Dernesch als Cassandra) und danach manche Male im Konzert und auch in Covent Garden in beiden Partien, sah sie oft im Konzert in London, später in Hannover, auch einige Male in Berlin bei Liederabenden an der DOB (und nur Britinnen können zitronengelbe trägerlose Corsagen zu der weißen Haut einer Brünetten tragen…), war enorm bewegt bei ihren drei Abschiedsvorstellungen in London und Glyndebourne, wo ich sie vorher als überwältigende Penelope von Monteverdi erlebt hatte.

Janet Baker/Dido/Purcell/youtube

Janet Baker/Dido/Purcell, ca. 1965/youtube

Ich gestehe, ich war irgendwie süchtig nach dem Impakt dieser Stimme und Persönlichkeit, die meine formativen Jahre so geprägt hatte. Und ich besaß natürlich ihre ersten zwei LPs von Saga von 1961/1966 mit Martin Isepp am Klavier, dem Sohn ihrer ersten Lehrerin Helena Isepp, die nun nach einigen Wiederveröffentlichungen anderswo bei Heritage (HTGCD 290/1) herausgekommen sind (Brahms, Schubert und Schumann von 1961, English Songs von 1966). Dazu hat die Firma ganz frühe BBC-Brahms-Aufnahmen mit Ernst Lush 1960/61 losgeeist, also vom allerersten Aufnahme-Beginn.

 

Janet Baker/Dido/"The Troyans at Carthage"/Edinburgh 1969/youtube

Janet Baker/Dido/“The Troyans at Carthage“/Edinburgh 1969/youtube

Durch ihre unendlich vielen Studio- und Live-Aufnahmen (kurz vor dem Verkauf ihrer Stammfirma EMI gab es noch einmal eine 20-CD-Box zu ihrem 80. Geburtstag, 2013) ist Janet Baker über die viele Jahre eine konstante Präsenz für Millionen von Zuhörern und Fans  geblieben. Bis heute, so dass es fast unwirklich scheint, dass sie bereits mit 56 Jahren 1989 mit dem Singen aufhörte. Diese beiden bei Heritage von Saga übernommenen CDs/LPs bringen den Hörer zurück zu ihren Anfängen ihrer Aufnahmetätigkeit, als sie in ihren späten Zwanzigern/Beginn Dreißigern war, aber bereits eine gewisse Karriere als gut ausgebildete Sängerin auf dem Sprung zum großen Ruhm begonnen hatte. Bereits 1953, mit 20, nahm  sie – neben ihrer Tätigkeit als Bankangestellte in York – bei Helena Isepp, einer emigrierten Österreicherin, in London Unterricht. Erste Kontakte ergaben sich für die BBC. 1956 debüttierte sie auf einer Studenten-Opernbühne in Oxford mit der Partie der Roza in Smetanas Secret. Bei den Festpielen im irischen Wexford trat sie 1959 als Pippo in Rossinis Thieving Magpie auf. Die Sommer 1956/57 verbrachte sie als Chormitglied in Glyndebourne, bis heute die Wiege des britischen Nachwuchses. Sie erinnert sich in Interviews an Sesto Bruscantini und was dieser mit der Sprache alles anstellte, an Geraint Evans als Falstaff, an das gründliche und erbarmungslose Training durch Carl Ebert, an die Vorbereitungen durch Vittorio Gui und Jani Strasser. Sie studierte in London französische mélodies mit Meriel St. Clair und nahm 1957 an Lotte Lehmanns Londoner Master Class teil. 1958 sang sie ihren ersten Orfeo an einer Studentenbühne und darauf die Zauberin in Dido and Aeneas 1961 unter Antony Lewis (einem ihrer Förderer, der sie dann auch 1962 als Dido für L´Oiseau Lyre/Decca auswählte), in Drottningholm dann die Dido 1962.

Janet Baker/Foto Saga 1961

Janet Baker/Foto Saga 1961

In diesem Jahren nahm sie erste Platte bei Saga auf. Martin Isepp, ein langer Begleiter, saß am Klavier und sorgte für Stabilität  angesichts der Kürze der Aufnahmezeit. In einem späteren Interview spricht sie über die Bedeutung der Sprache in diesen Liedern, über die Länge der Vokale, über die Wichtigkeit der Mitteilung („Gesang ist eine Art verzerrte Sprache!“). Auch darüber wie unterschiedlich sich die einzelnen Sprachen singen lassen, über die Schwierigkeit des Legato im englischen Gesang.Sie war eine sehr bewusste Sängerin, Zufälle gab es bei ihr nicht, alles war hart erarbeitet – zumal sie auch gegen das Erbe der unvergessenen Kathleen Ferrier anarbeiten musste, die in Großbritannien eine Nationalheilige war. Das war nicht leicht für sie.

 

Janet Baker mit Ileana Cotrubas in "La Calisto", Glyndebourne 1970/youtube

Janet Baker mit Ileana Cotrubas in „La Calisto“, Glyndebourne 1973/youtube

Auch wenn Janet Baker nach diesen ersten zwei LPs bei Saga unendlich viele andere Aufnahmen namentlich bei EMI, später bei DG, Philips und vielen anderen Labels machte, so halten diese ersten eben doch ihre unverwechselbare jugendliche Vitalität fest, nur vergleichbar mit dem überwältigenden Liederabend in der New Yorker Townhall 1966, wo sie mit Mozart beginnt und mit einer wunderbaren französischen Gruppe endet. Wo sie aber auch – unglaublich – über Nacht als Smeton in dem berühmten Anna-Bolena-Konzert der Kolleginnen Suliotis/Horne einspringt und eine ihrer wenigen Live-Opern-Vorstellungen in der Originalsprache gibt. Denn es war ihr Credo, Oper nur zu Hause und dann nur in Englisch zu singen, um eben das Publikum direkt zu erreichen. Ein Entschluss, den sie nur für Glyndebourne und ganz am Schluss für die herzzerreißende Abschieds-Alceste an Covent Garden durchbrach (für Studioeinspielungen  galt das nicht). Und ich erinnere mich an etwas verstörende konzertante und szenische Aufführungen der Troyens in London, wo sie neben der französisch-sprachigen Besetzung eines Jon Vickers und Robert Massards in klarem Englisch auftrat. Konsequent war sie, willensstark und unerbittlich…

 

janet baker heritageDie Lieder ihrer britischen Komponisten waren ihr stets ein Anliegen, und sie hat sehr verdienstvoll oft diese in ihre Liederabende eingeschlossen. Briten wissen das sicher zu schätzen. Aber Butterworth, Ireland und Warlock in allen Ehren – mich berühren ihre Brahms-, Schumann- und Schubert-Lieder zutiefst, ob nun der „Musensohn“ oder die „Mainacht“. Und selbst der zu oft gehörte Zyklus Schumanns, „Frauenliebe und -leben“ gewinnt durch ihre schlichte, unprätentiöse und eben jugendliche Interpretation eine ganz eigene Dimension, wenngleich vielleicht nicht sonderlich erfüllt – das kam später mit der Oper. Aber das Highlight der ersten CD ist für mich „Von ewiger Liebe“, denn hier durchmischt sich beispielhaft die Sehnsucht mit dem Schwärmerischen zu einem wirklich transzendenten Ausdruck, wie ihn die Baker – für mich – kaum je wieder erreicht hat. Die Kostbarkeit dieser Heritage-Ausgabe ist auch der Bonus mit ersten Aufnahmen (Brahms) von 1961 von der BBC mit dem Pianisten Ernst Lush (der auch Sena Jurinac auf ihren ersten internationalen Radio-Einspielungen begleitet hatte/Immortal Performances, s. auch den Artikel in operalounge.de dazu). Geerd Heinsen

 

John Shirley-Quirk HeritageAuch der eminente Bass John Shirley-Quirk (1931 – 2014) nahm in den frühen Sechzigern bei der Firma Saga englische Lieder auf, 3 LPs, die nun bei Heritage (HTGCD 283/4) wieder veröffentlicht wurden. Wieder ist Martin Isepp am Klavier, in anderen Aufnahmen ersetzt durch Viola Tunnard, Eric Parkin, Nona Liddell und Ivor McMahon an den Geigen und Ambrose Gauntlett an der Viola da Gamba. Letztere treten vor allem in den stimmungsvollen Stücken des Protestanten Pelham Humfrey und Purcell auf, in denen sich die sonore Sinnlichkeit der markanten Stimme Shirley-Quirks entfaltet. Andere Komponisten sind die „üblichen“: Ireland, Butterworth, Warlock, Stanford, Keel (den ich nicht kannte) und Vaughn Williams – eben Komponisten, zu denen Briten eine besondere Zuneigung haben. Nicht immer sind die Texte die ganz große Literatur, aber die melodischen Bögen dieser interessanten Postromantik vermitteln eine ganz eigene, insulare Ästhetik, die durch die flexible, kommunikative Bass-Stimme Shirley-Quirks in kleinen Universen Universen zur Geltung kommt. Ich bin nicht wirklich ein Fan dieser (zu) späten britischen Musiksprache, aber Shirley-Quirk gehörte seit meiner ersten Begegnung mit dieser prachtvollen Stimme zu meinen Lieblingen, und ihm zuzuhören ist nach wie vor ein Genuss. G. H.