Auf Abwegen

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Was tun, wenn man als Tenor der Welt und darüber hinaus natürlich der Nachwelt seine Stimme vorstellen bzw. erhalten will? Zum hundertsten Mal La donna è mobile und Nessun dorma auf eine CD bannen? Gerade in letzter Zeit gab es eine Fülle solcher Aufnahmen, die auch auf Operalounge ihre Spuren hinterlassen haben. Da gebe es aber noch das Ausweichen auf Canzoni und Populäres aus dem spanischen und  südamerikanischen Raum, von dem die jüngste CD von Jesús Leȯn kündet. Oder aber man besinnt auch auf besonnte Kindheitserinnerungen als begeisterter Hörer und Jugenderinnerungen als Mitglied einer Band und wendet sich der Musik seiner Kindheit zu, so dokumentiert von Gregory Kunde.

Seine dritte CD nach einer mit populärer Musik, betitelt Respiro im Jahre 2012 und einer solchen mit Belcanto ebensolchen Titels im Jahre 2015 legt der Mexikaner Jesus Leon nun eine dritte mit Passione vor, auf der viele spanische bzw. südamerikanische und wenige italienische Canzonen zu finden sind. Die drei Tenöre sollen seine Vorbilder sein, und populärer als mit Besame mucho, dem absolut meistgespielten Titel in spanischer Sprache, kann man kaum beginnen, für den der Sänger ein süffig viriles Timbre einsetzt, zarte colpi di glottide kaum vermuten lässt und mit diesem ursprünglich aus einer Oper stammenden Titel einen angenehmen Einstand findet. Amaneci otra vez wird den Ohren schmeichelnd gesungen, wobei die Stimme von Orchesterwogen quasi umspült wird. Aus dem Rumbarepertoire stammt Amapola, die Mohnblume, von Nino Rota aus La Strada der folgende Titel, und verinnerlicht wird Te espero von Guzman dargeboten. Nicht zuletzt das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter Toby Purser sorgt dafür, dass das unverzichtbare Granada rhythmisch straff und raffiniert dargeboten wird, ehe man zum unverzichtbaren Paolo Tosti mit A vucchella übergeht, dem Ergebnis einer Wette um das Vermögen, als aus den Abruzzi Stammender Neapolitanisches zustande zu bringen. Nicht die allseits bekannte, sondern eine von E.A. Mario stammende ist die hier zu hörende Santa Lucia, nach Argentinien zurück geht es mit Ay,Ay, Ay, über Mexikos „zweite Nationalhymne“ Cielito lindo schließlich zu Te quiero von Serrano, das Anlass für das Präsentieren einer strahlenden Höhe sein kann. Von zärtlicher Intimität ist Tostis Non t’amo più, hier im Vergleich zu italienischen Interpreten mit leichter Schärfe in der Stimme. Der italienische Teil fällt also etwas ab im Vergleich zum südamerikanischen, besonders im abschließenden Non ti scordar di me vermisst man die Dolcezza (Rubicon 1122).

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Sollte die CD Then and now einen neuen Karriereabschnitt für den amerikanischen Tenor Gregory Kunde einläuten, dann wäre es der dritte, wenn nicht der vierte, denn nach einer glänzenden Karriere mit Rossini einschließlich dessen Otello und einer akzeptablen mit Verdi und Co einschließlich ebenfalls des Otello wendet er sich nun der Musik zu, die er als Knabe aus der Jukebox vernahm und als Heranwachsender selbst ausübte. Fotos auf der CD-Hülle zeigen einen blonden Jungen, allerdings beim Grillen, aber auch einen nunmehr Siebzigjährigen im Aufnahmestudio, wo wahrscheinlich die neueste CD unter Mitwirkung  von Piano, Bass, Saxophon Trompete, Posaune und Schlagzeug entstand.

In eine schummerige Bar, ein Glas mit Hochprozentigem in der Hand, fühlt sich der Hörer versetzt, wenn ihm zu Ohren kommt, was der kleine Gregory als Hörer, der Halbwüchsige als Ausübender im „Then“ genoss und nun im „Now“ wieder aufleben lässt. Das ist Josef Myrows You make me feel so young, das eher baritonal als tenoral klingt, Gershwins Our love is here mit vorzüglicher Diktion, geschmeidig  vorgetragen, so wie auch Millers  For once in my live unagestrengt die Stimme in die Höhe klettern lässt. Kommunikativ und wie beiläufig gesungen klingt My kind of town, Atmosphäre schaffend, Time after time profitiert vom Einsatz des Saxophons, und Where or when fordert auch einmal zur Nachdenklichkeit auf. Insgesamt erfordern die Stücke nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit des Hörers, sondern faszinieren auch durch die Beiläufigkeit, mit der sie dargeboten werden, gestatten sich hin und wieder das Abdriften in Frivolität oder Sentimentalität wie Can’t take my eyes off you. Die Instrumente umspielen die Stimme zärtlich in How do you keep the music playing, und I left my heart in San Francisco beweist, dass Heidelberg einen ernst zu nehmenden Rivalen hat. Schmusesängergeschmeidigkeit erfordert und erhält When i fell in love von Victor Young, die populäre Funny Valentine von Rodgers gefällt durch die Vermittlung einer Leichtigkeit des Seins, die uns gerade abgeht (Delos DE 3606). Ingrid Wanja