Herz-Tod. Auf die Idee, eine CD so zu titeln, muss man erst mal kommen. Decca ist darauf gekommen – und zwar bei einer Liedauswahl mit Günther Groissböck (481 6957). Herztod ist zunächst einmal ein medizinischer Befund. Der Sänger wandelt ihn durch Kunst in Poesie. Auf dem Cover sieht Groissböck aus, als wollte er auf eine Beerdigung gehen. Das ist durchaus beabsichtigt, wie aus dem Booklet zu erfahren ist. Dort findet sich ein ausführliches Interview mit Ines Steiner. Beide sind per Du. Da spricht es sich offenbar leichter über letzte Dinge. Der Sänger schildert auch eigene Erfahrungen aus dem familiären Umfeld mit dem Tod. „Es ging mir zugegebenermaßen auch darum, die Hörer mithilfe dieses schroffen, harten Titels … und natürlich vor allem über diese wunderbare, teilweise auch sehr sinnliche, abgründige Musik etwas tiefer zu erreichen; sie vielleicht sogar etwas anders, bewusster, dabei aber auch vertikaler oder gar dreidimensionaler empfinden zu lassen.“
Was steht auf dem Programm? Vier ernste Gesänge von Johannes Brahms, Richard Wagners Wesendonck-Lieder, die Michelangelo-Lieder von Hugo Wolf und Gustav Mahlers Rückert-Lieder. Da wird gestorben, gelitten, getrauert, Abschied genommen: „Es ist alles von Staub gemacht, und wird wieder zu Staub“, heißt es beim Prediger Salomo, den sich Brahms als Textvorlage wählte. Groissböck spricht in Bezug auf die Programmauswahl von „Endlichkeit und Mühsal der menschlichen Existenz“. Keine Stücke also, mit denen man einen erfüllten Tag entspannt ausklingen lässt. Der Sänger und sein Pianist Gerold Huber bohren tief und muten ihrem Publikum einiges zu. Wer sich darauf einlässt, muss sich aber nicht fürchten. Im Gegenteil. Das Künstlerduo, das schon für die Decca bei der Winterreise und beim Schwanengesang von Schubert zusammenarbeitete, gewinnt dem Thema auch jene elementaren Kräfte ab, die sich gegen den Tod stellen. In ihrer Interpretation trägt der Tod nicht den Sieg davon. Die CD wirkt auf mich außerordentlich tröstlich und versöhnlich. Ich habe sie mehrfach gehört. Auch zu sehr später Stunde.
Beide Künstler bringen eine große Ruhe und Gelassenheit in den Vortrag ein. Sie meiden Extreme. Groissböck wirkt stimmlich mächtig und unerschütterlich wie ein Fels. Manchmal hätte ich mir ein wenig mehr Farbe gewünscht, auch wenn das Thema zum Schwarzweißen neigt. Wenn ich mich für einen Zyklus entscheiden müsste, meine Wahl fiele auf die Wesendonck-Lieder, obwohl ich meine Schwierigkeiten damit habe, wenn ein gestandener Mann wie Groissböck danach greift. Nicht nur wegen der realen biographischen Bezüge der Lieder, die Zeugnis ablegen von der leidenschaftlichen und schwärmerischen Beziehung zwischen Wagner und der reichen Kaufmannsgattin Mathilde Wesendonck. Für mich sind sie in weiblichen Gefühlswelten, Empfindungen und Sichten angesiedelt. Nicht alles lässt sich nivellieren, was beide Geschlechter unterscheidet. Groissböck sieht das anders und damit wohl auch moderner und nicht so traditionell tradiert. Er habe „im Text keine verbindliche Geschlechtszugehörigkeit entdeckt“, sagt er im Interview. Und er habe sich gefragt, warum denn nicht mal diese „gender-neutralen“ Lieder als Mann singen, weil es ja auch Titel wie „Schmerzen“ oder „Stehe still“ gebe, zu „denen etwas draufgängerisches Testosteron sehr gut passt“.
Er ist nicht der erste Sänger, der sich diesem Zyklus zuwendet und damit in eine bislang traditionelle Sängerinnendomäne einbricht. Zuvor hatten sich bereits René Kollo und Jonas Kaufmann – um zwei prominente Beispiele zu nennen – damit versucht. Groissböck will also nicht in fremden Territorien wildern oder gar den Kolleginnen die Lieder wegnehmen. Er dringt mit seiner fesselnden Darbietung in jene Bereiche vor, wo sich die Gefühle von Frau und Mann treffen und ineinander gehen. Am Ende hatte auch ich vergessen, dass ich diesen Liederzyklus bisher am liebsten von Frauen gesungen höre. Rüdiger Winter