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Vor hundert Jahren starb Ferruccio Busoni (1866-1924). Daran erinnerte bereits während des Karnevals 2023 der Maggio Musicale Fiorentino, der den in der Nähe, in Empoli, geborenen Komponisten, der freilich den Großteil seines Lebens in Berlin wohnte, mit dem Doktor Faust zu Wort kommen ließ. Wurde Doktor Faust, in dem Busoni bedeutende Szenen am Hof von Parma spielend lässt, wo Faust die Herzogin verführt, jemals in der unweiten Verdi-Stadt Parma aufgeführt? Busonis Doktor Faust ist jedes Mal eine Wucht. Oft zu sehen oder hören ist er nicht.
Nicht in Deutschland, noch weniger in Italien. In Florenz gab es Busonis letzte, von seinem Schüler Philipp Jarnach vollendete und 1925 in Dresden uraufgeführte Oper immerhin 1964. Vielleicht hätte man die aktuelle Inszenierung des effektiven Davide Livermore, der derzeit in Italien für das Großformatige angesagt ist, sehen müssen – Blu-Ray und DVD gibt es natürlich auch – aber der Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister sorgt dafür, dass die CD auch ohne szenischen Budenzauber habenswert erscheint (3 CD Naxos 8.660531-33). Bereits mit der Symphonia mit „Ostervesper und Frühlingskeimen“ führt Meister in eine geheimnisvoll spätmittelalterliche Welt, in die sich Busoni musikalisch so ingeniös einfühlt. Der nachgeschaltete, mit verschiedenen Stimmen gesprochene Abschnitt „Der Dichter an die Zuschauer“ wurde vermutlich szenisch besser als in der schwer begreiflichen, diffusen akustischen Wiedergabe gelöst. Doch dann hält Meister die Spannung über gut zweieinhalb Stunden auf hohem Niveau, über Vor- und Zwischenspiel und über die drei in Parma und Wittenberg spielenden Hauptszenen, und realisiert eine bezwingende, bestens koordinierte Aufführung, der Klang berstend und auffahrend, dann wieder mystisch und raunend und stets szenisch mitreißend aufgefächert. Schön durchhörbar sind die Szenen mit den Studenten aus Krakau (Martin Piskorski, Marian Pop, Lukasz Konieczny) oder den nächtlichen Geistern, die Faust beschwört. Auch die weiteren Figuren sind weitgehend gut charakterisiert, Chor und Orchester des Maggio Musicale Fiorentino sind in Bestform.
Mit der Titelfigur hat Busoni eine besonders eindringliche und eindrucksvolle Gestalt geschaffen, die das Beste des jeweiligen Sängerdarstellers zum Vorschein bringt. Dietrich Henschel, der der Bühne fast entschwunden schien, ist ein wuchtig rufender wie sanft beschwörender Faust mit persönlichkeitsstarkem Bariton. Faust erscheint bei Livermore als Doppelgänger Busonis, wie denn offenbar alle Männer solche Busoni-Doubles sind, und entsprechend klar und wohltuend textdeutlich singt und gestaltet Henschel, der die Partie bereits unter Nagano auf CD verewigt hat, den Text, so dass man Busonis deutschsprachiges Libretto fast mitschreiben könnte. Sein Widerpart Mephistopheles ist bei Busoni ein Tenor, ein gleisnerischer Heldentenor à la Tambourmajor in dem ebenfalls 1925 uraufgeführten Wozzeck. Der Amerikaner Daniel Brenna singt ihn mit der Leuchtkraft und durchdringenden Intensität und oft auch schneidenden Schärfe einer intakten Heldenstimme, auch textdeutlich und klug changierend. Henschel und Brenna gelingt es, das lange „Prelude II“ und beider Dialog in Fausts Studierstube spannend zu durchdringen und das anschließende mit einem großartigen Orgelsolo (gespielt von Andrea Severi) eingeleitete „Intermezzo“ („Kapelle im Münster“) suggestiv zu gestalten; der aus dem Libanon stammende Tenor Joseph Dahdah gibt in dieser Szene dem Soldaten Profil, wie anschließend auch dem Herzog von Parma. Olga Bezsmertna bleibt kühl virtuos als Herzogin von Parma, die gar nicht unähnlich der Dame in Hindemiths ein Jahr später in Dresden uraufgeführten Cardillac ist, mit der die ukrainische Sopranistin an der Wiener Staatsoper 2012 erstmals große Aufmerksamkeit fand. Im Ensemble fallen der Bassist Wilhelm Schwinghammer als Wagner/ Zeremonienmeister und der Bariton Marcell Bakonyi als Jurist auf. Rolf Fath