Stalin hat Sex mit seinem Nachfolger Chruschtschow. Zumindest sein Klon. Das war zu viel für manche Russen, die Wladimir Sorokins Bücher vernichteten, darunter die Walking Together-Bewegung, kremeltreue Anhänger Putins, der die Rehabilitation Stalins betrieb, parallel dazu bereitete die Staatsanwaltschaft Anfang der 2000er Jahre eine Anklage wegen Pornographie gegen den Provokateur vor. Es ging damals um Sorokins Sience-Fiction Roman Der himmelblaue Speck, von dem die FAZ befand, Sorokin schicke den Leser mit diesem „vielschichtigen Roman auf eine phantastische Reise voller Abgründe in die Vergangenheit und Zukunft und entfaltet die enorme Bildlichkeit seiner Sprache in diesem literarischen Karneval“. Vor dem Bolschoi-Theater warfen die Walking Together– Leute Sorokins Bücher in eine Kloschüssel und demonstrierten damit gegen die Entscheidung der Bolschoi-Führung, das Libretto einer neuen Oper dem Nestbeschmutzer, der in seinem Roman auch Dostojewski, Tschechow und Achmatowa auftreten ließ, zu überlassen. Da gibt es am Haus nach einem Vierteljahrhundert endlich wieder eine neue Oper – und dann das. Immerhin ein medienstarkes Vorgewitter für ein Werk, das alle Voraussetzungen bot, ein Skandal zu werden.
Drei Jahre später folgte die Uraufführung von The Children of Rosenthal. Jetzt liegt der Zweiakter (60 und 73 Minuten) in einer Aufnahme aus dem Jahr 2015 auch auf CD vor (Melodyja MEL 1002434, engl. russ. Beiheft). Wieder geht es um Klone. In den 1930er Jahren entdeckt der Wissenschaftler Rosenthal die Möglichkeit der Reproduktion von Lebewesen, zuerst von Tieren, dann auch Menschen. Sein Labor wird von den Nazis vernichtet, er flieht in die Sowjetunion, wo er mit seinen Versuchen erfolgreich fortfährt und von Stalin ausgezeichnet wird, doch er träumt davon, Genies zu reproduzieren. Nachdem ihm dies bereits mit Verdi, Tschaikowsky, Wagner und Mussorgsky gelungen ist, folgt – und hier setzt die Oper ein – die Wiederschaffung Mozarts. Sechzehn Jahre nach Rosenthals Tod, der sie gegenüber Stalin als seine Kinder ausgab, fristen die fünf dann ihr Leben als Straßenmusiker. Die Prosituierte Tanya verliebt sich in Mozart, gemeinsam wollen sie mit den vier Musikern auf die Krim reisen, doch der Zuhälter Kela hat Gift in den Wodka geschüttet, den sie auf der Reise leeren wollen. Alle sterben, bis auf Mozart, der immun gegen Gift ist. Das ist eine pfiffige, pointenreiche Story, die der in der Ukraine geborene und am Leningrader Konservatorium ausgebildete Leonid Desyatnikov, wie Sorokin Jahrgang 1955, in eine Musik fasste, die seine vielfachen Erfahrungen widerspiegelt: Er hat Werke Piazzolas arrangiert, Filmmusik geschrieben, mit Gidon Kremer gearbeitet. Es gibt Sprechszenen, filmmusikhafte Sequenzen, ein postmodernes Sammelsurium aus Volkstümlichem, Geistlichem, Zitaten von Lohengrin über Eugen Onegin bis Boris Godunow, flott, wendig, da wirkt noch Schostakowitschs Geschick nach, auch eine Fähigkeit der Anverwandlung, die wir bei Weinberg schätzen gelernt haben, doch wirkt es bei Desyatnikov manchmal etwas gewollt fratzenhaft und vordergründig. Die Musik hat aber einen dramatischen Atem, den Alexander Vedernikov in dem großorchestral auffahrenden Sound befeuert. Die Tenöre Maxim Paster und Vsevolod Grivnov singen Tschaikowsky und Mozart, der Bariton Vassily Ladyuk den Verdi, der Bass Alexander Teliga den Mussorgsky und die Mezzosopranistin Elena Manistina den Wagner. Aus dem Ensemble sticht noch Boris Statsenko als Kela heraus.
10.000 Kilometer und Welten trennen The Children of Rosenthal und Home is a Harbor. Vergleichsweise anämisch mutet die erste Oper von Mark Abel (*1948) an, dem Delos auch bei Home is a Harbor die Treue hält (2 CD DE 3495). Abel selbst hat das Libretto verfasst, welches „covers a wide emotional landscape – ranging from youthful exuberance and celebration of family values to tragedy, pathos and desillusion…“. Abel erzählt die Geschichte der Schwestern Lisa und Laurie, die sich als Künstlerin und Geschäftsfrau versuchen, Wirtschaftskrise und die Folgen des Afghanistan-Kriegs erleben und ins heimatliche Morro Bay zurückkehren, wo sie obdachlosen Veteranen helfen. Das ist alles so gut gemeint, wie die kleinformatige, aufführungsfreundliche Besetzung, die Zitate, von Schostakowitschs Fünfzehnter bis Jazz, womit Abel an seine Anfänge erinnert, und die sparsam gefühlvoll untermalende Musik, die Sätze wie „Hi Mom“ „Hi. We’re eating in half an hour“ zum Klingen bringt, wie die Aufführung selbst. Benjamin Makino vermittelt mit der 13-köpfigen La Brea Sinfonietta überzeugend Pathos und Sentimentalität der drei Akte, unterstützt von den hingebungsvollen Solisten, den lyrischen Sopranistinnen Jamie Chamberlin und Ariel Pisturino, dem Bariton Babatunde Akinboboye und dem Tenor Jon Lee Keenan. Zusammen mit Lisa und Laurie ist der Hörer erleichtert, wenn die Schwestern endlich ihre Bestimmung gefunden haben: „Life comes clear. The birds fly over the harbor“. Rolf Fath