Stefano Pavesis „Ser Marcantonio“

 

Stefano Pavesis (1779-1850) zählt zu einer Generation des Übergangs. Mit seinen über 60 Opern prägte er, mit Schwerpunkten in Neapel, Mailand und Wien, in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Gattungsentwicklungen von Seria, Buffa und Dramma giocoso maßgeblich mit. Er studierte mit Cimarosa und Piccinni in Neapel, ist in den antimonarchistischen Revolutionswirbeln Frankreichs zu finden, wurde Liebling und schließlich künstlerischer Erbe Giuseppe Gazzanigas in Venedig und 1820 Nachfolger von Antonio Salieri an der italienischen Oper in Wien. 1826 zog er sich in die Lombardei zurück und überließ das Feld den neuen Größen am Opernhimmel, allen voran Rossini.

Einer seiner großen, europaweiten Erfolge war Ser Marcantonio, ein zweiaktiges Dramma giocoso, das 1810 an der Scala in Mailand herauskam und es dort auf 54 Aufführungen brachte. Das Libretto von Angelo Anelli (der für alles was Rang und Namen hatte schrieb, Paër, Piccinni, Zinagrelli, Mayr, Mosca … ) griff dabei auf jenen beliebten Komödienstoff zurück, den Jean-Baptiste Rousseau in L’hypocondre, ou la femme qui ne parlait point verarbeitet hatte und der sich schon 1610 bei Ben Johnson in Epicœne, or The silent woman findet. Heute kennen wir den Stoff auf der Opernbühne vor allem aus Richard Strauss’ Die schweigsame Frau (1935) und Gaetano Donizettis Don Pasquale, der 1843 damit den Erfolg von Pavesis Version beendete.  Ein Schicksal, das den Opernstoffen zu einer Zeit als man sich noch auf Novitäten freute (und sie nicht fürchtete) regelmäßig zu Teil wurde. So wartet  etwa noch Pavesis Aschenputtel-Oper Agatina o La virtù premiata (1808), von der es 1987 bei Opera Rara eine Aufnahme unter David Parry gab und die ein klarer Vorläufer von Rossinis Cenerentola ist, auf  neues Bühnenleben.

Pavesis und Anellis Ser Marcantonio ist textlich und musikalisch eine typische Komödie der Jahrhundertwende, geprägt von der Goldonischen Komödien-Dramaturgie, mit klar gezeichneten Typen, den üblichen Intrigen, Verkleidungen und Verwechslungen. Die zwanzig Nummern sind durch secco-Rezitative miteinander verbunden, Situationskomik wechselt mit Kavatinen, Duetten und Ensembles. Die Musiksprache ist mit einfachen Melodien rhythmisch betont, die concertati bahnen Rossini den Weg.

In Pesaro hat man sich Anfang des Jahrtausends schon einiger Opern Pavesis besonnen und die beiden Farsas Un avvertimento ai gelosi (2001) und Il trionfo delle belle (2004) zur Aufführung gebracht. In Lugo hatte man bereits im Jahr 2000 den Ser Marcantonio wieder belebt und eine eigene Edition erstellt, daran hat man sich dann 2011 beim ‚Rossini in Wildbad’-Festival erinnert. Diese  Aufführung, die auch im Radio übertragen wurde, ist bei Naxos auf 2 CDs als Live-Mitschnitt erschienen. Das junge Ensemble hat dabei merklich Spaß an der Komödie. Die vermeintlich schweigsame Frau heißt hier Bettina und ist einem Contraalt anvertraut. Mit Loriana Castellano hat man dafür eine Sängerin gefunden, die mit ihrer dunkel gefärbten Tiefe ebenso für sich einzunehmen weiß, wie mit gekonntem Legato und verführerischen, pointiert gesetzten Koloraturen in bester Buffa-Tradition. Ihre virtuos gesungene Schlussarie (der dann freilich noch ein Finale folgt) nimmt formal schon deutlich Angelinas „Non piu mesta“  aus Rossinis Cenerentola vorweg. Matteo D’Apolito ist ihr Bruder Tobia, der die Verstellungs-Geschichte in Gang setzt, mit schelmischen Zwischentönen à la Figaro und energischem Bassbariton in dem entfernt an Mozarts Figaro-Grafen erinnernden Recitativo e Aria „Or capisco che siete un vile“ im zweiten Akt. Der geprellte Alte, der Titel gebende Ser Marcantonio, ist bei Marco Filippo Romanos hellem Bariton gut aufgehoben und verfällt dankenswerter Weise nicht der billigen Karikatur. Die Südwestdeutsche Kammerphilharmonie Pforzheim klingt unter Massimo Spadanos theaterwirksamer Leitung angemessen lebendig, stets zuverlässig in der Begleitung, mit differenziertem Klangbild, präzisen  Bläsereinwürfen und schönen Steigerungen. Eine gelungene Produktion, deren übrigen Rollen mit dem leichten, höhenschwachen Tenor von Timur Bekbosunov und den charakteristischen Mezzos von Silvia Beltrami und Svetlana Smolentseva für eine CD-Veröffentlichung allenfalls zufrieden stellend besetzt sind. Trotzdem, eine insgesamt schöne, verdienstvolle Wiederbelebung und ein weiterer Baustein in der Erkundung der unbekannten italienischen Oper des beginnenden 19. Jahrhunderts (Naxos 8.660331-32). Moritz Schön