Hamburger Vokales

 

Auf zwei Aufnahmen mit Werken von Reinhard Keiser sei bei  cpo  unbedingt hingewiesen. Der 1674 im Herzogtum Sachsen-Weißenfels geborene Komponist ist ein Zeitgenosse von J. S. Bach, aber im Gegensatz zu ihm vor allem durch seine Opern bekannt. An der Hamburger Oper am Gänsemarkt, die er leitete, wurden seine Werke regelmäßig gespielt. 1702 wurde dort die Operetta auf den Geburtstag Friedrichs IV. mit dem Titel Pamona uraufgeführt.

Bereits 2010 wurde das Werk in Berlin für cpo aufgenommen (777 659-2). Am Pult der Capella Orlandi Bremen steht Thomas Ihlenfeldt, ein Barock-Spezialist, der bei dem renommierten Dirigenten und Lautenisten Stephen Stubbs studierte. Er beweist schon in der munteren Ouvertüre im Idiom Telemanns sein Gespür für Farben und dynamische Kontraste. Das Stück behandelt einen Disput der Götter, welcher Jahreszeit der Vorzug zu geben sei. Schließlich erscheint der Göttervater Jupiter und verkündet, dass der Geburtstag des Königs von Dänemark der eigentliche Anlass der Zusammenkunft sei. Und er preist die Schönheit und Tugend der Königin Luise, die mit ihrem Gatten Friedrich das ideale Ehepaar darstelle. Er setzt beide dem Götterpaar Pamona und Vertumnus gleich, womit der Herbst als Sieger aus dem Wettstreit hervorgeht.

Die Titelheldin, die erst am Ende des ersten Teils auftritt, ist mit Melanie Hirsch besetzt, deren Sopran in der beschwingten Eingangsarie „Zuviel Verwegenheit“ jubiliert und in der getragenen „Kindheit ist wie Frühlingsstunden“ mit lyrischer Empfindsamkeit aufwartet. Gelegentlich kann die Stimme auch einen spitzen Klang annehmen („Rühmet ihr Himmel“) oder larmoyant wirken („Ich komm“). Den ersten Teil beendet sie jubilierend mit „Der Sieg ist mein“. Und ihr gebührt auch das finale Solo mit „Grünet und blühet“ als feines Sopran-Gespinst. Der Vertumnus ist gleichfalls eine Sopranpartie, die Magdalena Harer wahrnimmt. Die Stimme von schmalem Volumen klingt verzärtelt und in der Höhe bohrend. Beide Soprane vereinen sich in der Aria à 2 „Endlich, endlich find ich dich“ zu harmonischem, von Koloraturen umspieltem Zwiegesang.

Der Tenor Julian Podger ist ein leichtstimmiger Mercurius, der mit zwei lebhaften Arien („Was das Leben“ und „Ich werde heut anschauen“) die Handlung eröffnet. Danach haben die Sopranistin Doerthe Maria Sandmann und der Tenor Knut Schoch als Flora und Zephyrus eine Aria à 2, „Sei willkommen, meine Lust“, in der sie ihren kultivierten Gesangsstil ausstellen können. Besonders in der wiegenden Arie „Sollten holde Frühlingskinder“ kann die Sopranistin mit delikater Tongebung gefallen. Olivia Vermeulen singt den Ceres mit leichtem, flexiblem Mezzo, der in den beiden Arien „Amor scherzt“ und „Komm Schönster“ zur Wirkung kommt. Der Tenor Jan Kobow, bei cpo oft verpflichtet, gibt mit lyrischer Kultur eine Doppelrolle als Jasion und Jupiter. Mit der von Ceres vereint er seine Stimme in der klangvollen Aria à 2 „Wir werden in gar kurzer Zeit“. Der Bariton Raimonds Spogis als Bacchus gefällt mit lautmalerischem Gesang in seinen beiden Arien „Du edler Saft der Reben und „Wen du füllst mit deinen Tropfen“. Auch „Wer fröhlich will leben“ im zweiten Teil ist getragen von lebensfroher  Stimmung. Solide nimmt Jörg Gottschick den Vulcanus wahr. In „Fachet die Kohlen auf“ und „Sollt’ ich ermüden“ kann er mit lebhafter Tongebung besonders gefallen.

 

2018 kam es in Weimar zur Einspielung des Oratorium Passionale Der blutige und sterbende Jesus, das Keiser 1705 komponierte. Mit der Capella Thuringia hat der Dirigent Bernhard Klapprott die revidierte Fassung von 1729 aufgenommen und findet in seiner Interpretation reiche Farben und Kontraste (555 259-2). Das Werk beginnt mit dem Choral der christlichen Kirche „Jesu Leiden“, dem der Chor der Jünger „Unendlich preist das Herze“ folgt. Der Cantus Thuringia überzeugt mit kultiviertem, klangvollem Gesang. Den ersten Teil des Oratoriums beendet er eindrucksvoll mit dem Choral „Zu dir flieh ich“. Gebührend spöttischen Tonfall findet er für den Chor der Jüden „Der du in dreien Tagen“ und den der Hohepriester und Schriftgelehrten „Den andern konnt er Hilfe geben“ im zweiten Teil. Die Titelrolle ist mit dem Bassisten Dominik Wörner besetzt, der keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Die Stimme von schmalem Volumen klingt oft zu larmoyant. In der Arie mit Maria im zweiten Teil, „Schreib diesen Trost“, mischt er sich mit sanfter Stimmgebung ideal mit dem zarten Sopran von Anna Kellnhofer, die in den kantablen Arien „Fürst verklärter Engelsorden“, „Ach, ungemeine Liebe“ und „Schau, Seel“ mit empfindsamer Zeichnung gefallen kann.

Die Sopranistin Monika Mauch und die Altistin Anne Bierwirth geben die Töchter Zions. Erstere interpretiert ihre Arien, ob „Erwache, felsenhartes Herze“ oder die mit Koloraturen geschmückte „Besiege diese Nacht“, sehr schlicht und mit klarer, flexibler Stimme. Mit Jesus singt sie das liebliche Duett „Süßer Trost“. Die Altistin hat mit „Speit, ihr giftgen Nattern“ ein wirkungsvolles Solo mit ausgedehnten Koloraturläufen. Ganz schlicht und entrückt erklingt dagegen ihr Arioso im zweiten Teil, „Nimm, Seele, dieses Kreuz“.

Der Tenor Mirko Ludwig ist Petrus, der in der energisch auftrumpfenden Arie „Waffnet euch“ mit vehementer Stimmführung aufhorchen lässt, in „Ach! Jammer“ aber auch mit klagender Tongebung aufwarten kann. Gleichfalls für einen Tenor ist der Judas geschrieben, dem Hans Jörg Mammel in der furiosen Arie  “Nun verschlingt, ihr Höllenscharen“ starken Charakter verleiht. Dem Caiphas dagegen könnte der Bassist Matthias Lutze mehr Gewicht geben. Das Oratorium endet mit dem ernsten Schlusschor der Weiber und Jünger, „Ach, Gott, lass täglich unsere Seele“, mit dem der Cantus Thuringia noch einmal beeindrucken kann. Bernd Hoppe