Wenn Liebe in Hass umschlägt

 

Als Orpheus und Eurydike von Ernst Krenek am 23. August 1990 bei den Salzburger Festspielen aufgeführt wurde, war der Komponist noch selbst zugegen. Er wurde just am selben Tag Neunzig. Das Werk schrieb er als Dreiundzwanzigjähriger auf einen Text des Malers und Schriftstellers Oskar Kokoschka, der darin seine traumatischen Erlebnisse im Ersten Weltkrieg und die beschwerliche Beziehung zu Alma Mahler, der umtriebigen Witwe des Komponisten Gustav Mahler, verarbeitete. Kreneks Oper war in Salzburg eingebunden worden in einen konzertanten Orpheus-Zyklus in der Felsenreitschule. Vorausgegangen waren die Opern von Claudio Monteverdi, Christoph Willibald Gluck und Joseph Haydn. Eine festspielwürdige Idee, die in der Gegenwart seltener anzutreffen ist als in früheren Jahren.

Insofern wäre es reizvoll gewesen, hätte Orfeo, schon des eigenen Namens wegen in seiner Festspielreihe den gesamten Zyklus aufgegriffen und nicht nur das Werk von Krenek (C923 1621). Für sich genommen erweist es sich als ziemlich schwere Kost. Die Einbindung hätte ihm gut getan. Der Stoff hat über die Jahrhunderte zahlreiche Komponisten inspiriert, seit es die Oper als Kunstform gibt. Krenek war nicht der letzte in dieser langen Reihe, der sich ihm zuwandte. Hin und wieder taucht sein Werk auf Spielplänen auf. In Berlin hatte es vor sieben Jahren im Konzerthaus am Gendarmenmarkt ebenfalls eine konzertante Aufführung mit szenischen Elementen unter der Leitung von Lothar Zagrosek gegeben.

Im Booklet findet sich dankenswerter Weise das Libretto. Nur dadurch wird es möglich, dem Werk an den Lautsprechern zu folgen. Eine Inhaltangabe reichte nicht. Wer ohne Text zuhört, bleibt zwar immer wieder an starken Wortgebilden eindringlichen musikalischen Momenten hängen, ein tieferer Sinn lässt sich daraus kaum erfassen. Die Handlung endet in der Katastrophe. Eurydike gibt sich als die Geliebte des Hades zu erkennen. Orpheus irrt, von Wahnsinn geschlagen, umher. In den Ruinen seines verfallenen Hauses, das er einst mit der Geliebten bewohnte, findet er zwar seine Leier wieder. Doch das Spiel ist nicht mehr das, was die Menschen hören wollen. Er wird gebunden und kommt in der Schlinge zu Tode. Schon in einer anderen Welt erscheint ihm Eurydike als ihr eigener Geist. Orpheus: „Ich hasse dich.“ Mit einem Nachspiel schließt das Werk versöhnlich, gar ironisch: „Das ewige Licht leuchtet ihnen.“ Die Musik ist hell, schwebend – wie nicht von dieser Welt. Als würden sich Vögel singend in die Lüfte heben. Ein wunderbarer Opernschluss. Das Publikum scheint sehr gebannt gewesen zu sein.

In den zeitgenössischen Kritiken kommen die beteiligten Solisten sehr gut weg. Für Dunja Vejzovic, die die Eurydike sang, war Salzburg eine Art Heimspiel, seit sie dort unter Herbert von Karajan als Kundry und Ortrud aufgetreten war. Zitiert wird im Booklet Hans-Heinrich Jungheinrich, der an der dieser Sängerin „Glut und Farbe einer femme fatale“ hervorhebt, „die sich in ihren Gesängen zu rätselhafter matriarchalischer Großartigkeit aufrecke“. Dieser Eindruck teilt sich noch heute mit, wenn sie den nur etwas verständlicher hätte singen können. Über weite Strecken ist kein Wort zu verstehen. Ronald Hamilton, der Mitte der 1980er Jahre an der Ostberliner Deutschen Staatsoper den Stolzing in den Meistersingern von Nürnberg gegeben hatte und auch anderswo als Heldentenor in Erscheinung getreten ist, findet im Booklet keine wertende Erwähnung. Er tut sich schwer mit der Rolle, die er betont charaktervoll gestaltet. Großen Eindruck macht Celina Lindsley als Psyche. Bo Skovhus, inzwischen Don Giovanni, Amfortas, Wolfram oder Eugen Onegin, ist noch in ein zwei Nebenrollen, als Krieger und als Narr, mit dabei. Es singt der ORF-Chor. Das ORF-Symphonieorchester Wien wird von Pinchas Steinberg geleitet. Er habe den Nerv von Kreneks Musik genau getroffen, urteilte Musikkritiker Jungheinrich nach der Vorstellung. „Nichts verbreiterte sich zum leeren Effekt, alles blieb schlank, gelenkig, glasklar und strukturell durchleuchtet.“ Ein Eindruck, den auch die CD-Ausgabe in ihrem bestechenden Klang, widerspiegelt. Rüdiger Winter