Warum?

 

Angesichts der überwältigenden Konkurrenz an Faust-Aufnahmen: Sag niemals nichts. Sonst müsste man sagen, dass nichts, aber auch rein gar nichts für diesen Faust spreche, den Ville Matvejeff im November 2016 im Kroatischen Nationaltheater Ivan Zajc in Rijeka wie in guten alten Zeiten in zweiwöchigen Aufnahmesitzungen einspielte und abschließend am 16.11. 2016 konzertant aufführte. Vermutlich auch nicht mehr der Preis, gibt es doch alle wiederveröffentlichten Referenzaufnahmen zum gleichen Preis der Naxos-Aufnahme (3 CD 8.66.456-58). Auch die Marketing-Aussage auf der Rückseite hat nichts zu sagen, „Heard here in ist 1864 London version with an additional air and without spoken Dialogue or ballet, Faust represents 19th-century French opera at its peak“. Es handelt sich schlichtweg um die „übliche“ Fassung, die man auf Bühnen oder CD erlebt. Doch, was heißt im Fall dieser „Tragikomödie der Umarbeiten“ und im Vorfeld der Uraufführung von 1859 arg gerupften Oper schon „üblich“. Die Sprechtexte überlebten mit Müh und Not die erste Saison und wurden 1860 durch Rezitative ersetzt, und die später eigens für den Umzug des Faust vom Théâtre Lyrique 1869 an die Opéra komponierte Ballettmusik – rund 20 Minuten Musik – teilt das Schicksal nahezu aller für dieses Institut eingefügten Ballettmusiken. Auf „Avant de quitter ces lieux“, die sogenannte Invocation, will seit Charles Santley, für den Gounod die Arie eingefügt hatte, allerdings kein Bariton mehr verzichten.

Auch nicht Lucio Gallo, der neben Carlo Colombara und Diana Haller der einzige mir bekannte Name auf dieser Aufnahme ist. Gallos Engagement befremdet einigermaßen. Warum ruft man einen namhaften italienischen Bariton nach Rijeka, der für die Partie (mittlerweile) absolut ungeeignet ist, ältlich, unstet und hohl klingt? Würde ich ihn in Rijeka oder in Ljubljana hören, an dessen Slowenischem Nationaltheater er ebenso oft wie am kroatischen Nationaltheater in Rijeka auftritt, wäre ich vermutlich ziemlich angetan von Aljaz Farasin. Auf der CD ermüden das gleichförmige Einheitstimbre und die ebenso monochrome, irgendwie auch provinziell phantasielose Vortragsweise doch sehr rasch. Carlo Colombara liegt der Méphistophèlés wunderbar in der Kehle, Raffinement, Eleganz oder satanische Bonhomie strahlt er nicht aus, dafür verfügt er über ein ordentliches Französisches, gute Höhe und Tiefe.

Für Dina Haller ist das ein Heimspiel. Die in Stuttgart engagierte Mezzosopranistin, die kürzlich bei „Rossini in Wildbad“ einen ausgezeichneten Tancredi sang, hat in Rijeka auch schon die Adalgisa ausprobiert. Hier singt sie mit schönem Timbre, klirrigen Farben und nervös raschem Vibrato einen sinnlichen Siébel. Eine positive Überraschung ist Marjukka Tepponnen, die der finnische Dirigent Ville Matvejeff mit nach Rijeka gebracht hat, wo der 33jährige seit 2014 als Principal Guest Conductor and Music Advisor fungiert und das Haus zuletzt mit Elektra beben ließ. Tepponen war in der Bregenzer Turandot eine der Liùs, singt Fiordiligi, Mimi, Tatjana; man hört einen lyrischen, zunächst wenig charmant klingenden Koloratursopran mit festen, etwas schrillen Koloraturen und sicherer Höhe, der im vierten und fünften Akt immer souveräner klingt und große Eindringlichkeit erreicht. Es wäre sicherlich nett gewesen, diesen Faust im Helmer und Fellner-Bau der kroatischen Hafenstadt zu hören, doch für den internationalen CD-Markt ist das zu wenig.  Rolf Fath