Von Euphrat und Themse

 

Pietro Metastasios Operntext Artaserse von 1729 zählt zu seinen häufig vertonten Libretti. Bereits ein Jahr später wurde er von Leonardo Vinci in Musik gesetzt. Mehr als 90 Komponisten folgten, darunter Johann Adolf Hasse (1730), Christoph Willibald Gluck (1741) und Carl Philipp Emanuel Bach (1760). Der Brite Thomas Arne (1710 – 1778), heute vor allem durch „Rule, Britannia“ bekannt, aber schon zu Lebzeiten erfolgreich als Theaterkomponist mit masques und songs, übersetzte den Text selbst ins Englische. Er hatte Hasses Version 1754 in London gehört – wie diese ist sein Artaxerxes eine opera seria im italienischen Stil, nur mit englischem Text. 1762 wurde sie in London zur Premiere gebracht. Die Bravour-Rolle des Arbaces (die bei Vinci und Hasse der legendäre Farinelli gesungen hatte) kreierte gleichfalls ein Kastrat: Ferdinando Tenducci. Auch die Titelrolle wurde einem Kastraten, Nicolò Perelti, anvertraut. Charlotte Brent, Arnes langjährige Schülerin und seit 1755 seine Geliebte, sang Artaxerxes’ Schwester Mandane. Die drei verbleibenden Partien wurden ebenfalls von englischen Interpreten wahrgenommen – der berühmte Händel-Sänger John Beard als Arbaces Vater Artabanes, Miss Thomas als Artaxerxes’ Geliebte Semira und George Mattocks als Armeegeneral Rimenes.

In der Musik dominieren Airs – nicht weniger als 26 Titel finden sich in der Partitur-, die allerdings im Unterschied zu Händel und seinen Zeitgenossen die Da capo-Form meiden. Statt vokaler Bravour liegt der Schwerpunkt auf melodischer Schönheit und emotionaler Unmittelbarkeit. Bemerkenswert ist der Reichtum der Instrumentierung durch den variablen Einsatz der Blasinstrumente.

Die vorliegende Aufnahme folgte einer Neuproduktion des Werkes am Royal Opera House Covent Garden im November 2009. Der Dirigent Ian Page (der bereits bei Linn die Oper 2004 eingespielt hatte; und überhaupt herrscht kein Mangel an Arnes Oper auf CD, denkt man an Fasolis bei Erato, Goodman bei Hyperion oder Rovaris bei Dynamic, wie ein Blick in den Katalog von jpc zeigt) hatte dafür die fehlenden Teile (sämtliche Rezitative und das Finale), die beim Brand des Opernhauses 1808 zerstört worden waren, ergänzt. Glücklicherweise waren die Overture sowie Airs und Duets schon gedruckt und blieben dadurch erhalten. Page fertigte die Rezitative, während er für das Finale den Komponisten und Musikwissenschaftler Duncan Druce heranzog, der es im Stil Arnes schrieb. Die Neuschöpfungen finden sich auch in dieser Einspielung, welche im November 2009 und April 2010 in London entstand und erstmals 2010 vom Label LINN herausgebracht wurde. signum CLASSICS sorgt nun für eine Wiederauflage auf zwei CDs (SIGCD672).

Ian Page leitet das 1997 gegründete Ensemble The Mozartists, das sich auf die Musik Mozarts und seiner Zeitgenossen spezialisiert hat. Schon in der Overture spürt man die Vertrautheit mit diesem Stil. Sie atmet festlichen Glanz, ist von pulsierendem Rhythmus und vorwärts drängender Verve. Der Countertenor Christopher Ainslie übernahm den Titelhelden, die Sopranistin Rebecca Bottone dessen Geliebte Semira. Ainslie überzeugt in seinem Auftritt „Fair Semira“ mit kultiviertem Vortrag und stets angenehmem Ton. Auch das Air „In infancy“ zu Beginn des 2. Aktes ist ein rundum wohllautender Titel. Bei „Though oft a cloud with envious shade“ kann er neben dem schönen Klang seiner Stimme auch virtuose Fähigkeiten einbringen. Bottone erfreut in Semiras Air „How hard is the fate“ mit nobler Stimme von leuchtendem Klang und feiner Ausformung der Verzierungen. Auch in ihrem Air im 2. Akt „If the river’s swelling waves“ entzückt sie mit lieblichem Klang. Im Unterschied zur früheren Tradition wurde die Partie des Arbaces hier nicht mit einem Counter, sondern der Mezzosopranistin Caitlin Hulcup besetzt. Das Auftritts-Air „Amid a thousand racking woes“ ist von bewegtem Duktus mit reichem Koloraturanteil. Die Interpretin bewältigt es achtbar, lässt allerdings eine sehr strenge Höhe hören. Dennoch suggeriert ihre Stimme keine männliche Figur. Delikat schwebt die Stimme im Air „O too lovely“, mit berührender Schlichtheit und Innigkeit ertönt sie in „By that belov’d embrace“. Den 3. Akt eröffnet sie mit dem Air „Why is death for ever late“ sehr empfindsam und hat gleich danach mit „Water parted from the sea“ noch ein weiteres Solo von gleichfalls getragenem Charakter. Arbaces’ Vater Artabanes ist der in der Alten Musik namhafte Tenor Andrew Staples. Mit dem getragenen Air „Behold“ führt er sich mit gleichermaßen gefühlvoller wie beherzter Stimme sehr vorteilhaft ein. Energisch trumpft er bei „Thy father!“ auf und wartet bei „Thou, like the glorious sun“ dann wieder mit sanften Tönen auf. Mit „O, much lov’d son“ hat er das längste Air der Oper zu singen – ein aufgewühltes Seelengemälde, welches Staples in seinem enormen Ausdrucksradius zeigt. Elizabeth Watts singt die Mandane. Mit dem Air von leichter Wehmut „Adieu, thou lovely youth“ fällt ihr das erste Solo des Werkes zu. Die Sopranistin singt es kultiviert und mit Wohllaut. Das Air „Fly, soft ideas“ mit munterem Hörnerklang suggeriert eine Jagdszene, welche die Sopranistin mit beherzter Attacke angemessen ausbreitet. Im Air „If o’er the cruel tyrant love“ kann sie dann wieder innige Töne hören lassen. Umso überraschender sind ihre keifenden Ausbrüche im Air „Monster, away“, doch sind diese natürlich der Situation geschuldet, soll sie doch für Rimenes der Lohn sein für dessen Mordtat an Artaxerxes. Mit dem wiegenden „Let not rage“ im 3. Akt fällt ihr eine der schönsten melodischen Eingebungen des Komponisten zu und sie nutzt diese Vorgabe mit großer Würde. Strahlender Trompetenschall begleitet ihr letztes Air „The soldier, tir’d of war’s alarms“, wo es bei den jauchzenden Koloraturen einige grelle Spitzen zu hören gibt. Der Tenor Daniel Norman komplettiert die Besetzung als Rimenes, der in den Airs „When real joy we miss“ und „To sigh and complain“ eine buffonesk-muntere Note einbringt, bei „O let the danger of a son“ im 3. Akt aber auch energisch auftrumpfen kann. Am Ende vereinen sich die Solisten mit „Live to us, to Empire live“ zum jubelnden, von Druce kongenial nachempfunden Finale (13. 07. 2021). Bernd Hoppe