Populär sind die alljährlich stattfindenden Aufführungen bekannter Opern auf der Seebühne von Bregenz, verdienstvoll die Wiederentdeckungen oder Uraufführungen an Land, im Jahre 2018 die der Kammeroper Das Jagdgewehr von Thomas Larcher nach einer Novelle des Japaners Yasushi Inoui. Es ist dies seine erste Opernkomposition und zugleich die erste Opernregie von Karl Markovics. So wie die Novelle eine Rahmenhandlung hat, so findet das Bühnengeschehen innerhalb eines weißen Rahmens statt, aus dem sich die Personen in Richtung Publikum und Orchester hinausbewegen oder in dem sie sich immer weiter in den Hintergrund hinein verlieren können (Bühnenbild und Kostüme Katharina Wöppermann). Ein breites weißes Band kann mal schneeverwehte Straße, mal Wasserfall oder Fluss darstellen. Den Video-Hintergrund kann abwechselnd Schneelandschaft, Meer oder in Bewegung befindliches Baumgeflecht sein.
Die Rahmenhandlung besteht darin, dass ein Schriftsteller, der ein Gedicht über einen Jäger und sein Jagdgewehr geschrieben und veröffentlicht hat, von einem solchen, der sich darin zu erkennen glaubte, drei Briefe empfängt, je einen von des Jägers Frau, seiner Geliebten und deren Tochter, die zugleich des Jägers Nichte ist. Der Dichter tritt zu Beginn in einem Prolog, zu Beginn des ersten Akts und zum Schluss auf, Robin Tritschler verleiht ihm mit guter Diktion und einem höhensicheren Tenor viel Präsenz, seine Musik erinnert teilweise an romantisches Liedgut, das von den Schlagzeugern des kleinen Orchesters eher harsch konterkariert wird.
Nachdem der Dichter die drei Briefe von dem Jäger Josuke Misugi empfangen hat, beginnt die Handlung an ihrem eigentlichen Schluss, nachdem Misugis Geliebte Saiko Selbstmord nach einer langen, dreizehn Jahre gedauert habenden Beziehung mit ihm begangen hat, seltsamerweise, nachdem sie erfahren hat, dass ihr ehemaliger, geschiedener Mann sich wieder verheiratet hat. Davon erfahrt man allerdings erst im dritten Akt, der zeitlich vor dem ersten liegt, der zweite wiederum spielt sowohl vor dem ersten wie vor dem dritten Akt, Jahre nachdem sich Saiko und Misugi angesichts eines brennenden Schiffes, auf der Bühne ein kleines gefaltetes Boot aus Papier, der Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe bewusst wurden, wohl bei einer Schlangenausstellung, treffen sich die Liebenden noch einmal, ordnen die verschiedenen Ausstellungsexemplare ihren Persönlichkeiten zu. Als dritte Frau spielt Misugis Frau Midori eine tragende Rolle. Sie schweigt zu dem Ehebruch ihres Mannes, teilt ihrer Nebenbuhlerin erst im dritten Akt ihr Wissen mit und verzeiht ihr gleichzeitig. Sowohl das Nichteinhalten einer Chronologie wie die seltsamen Motive für das Handeln der Personen machen es dem Zuschauer nicht leicht, Zugang zu dem Werk zu finden, obwohl die Musik trotz der übermäßig auch bei simplen Wendungen wie „eine Krawatte dazu“ angewandten Intervallsprünge und der Extremhöhen für die Soprane eine eingängige ist, was besonders auch der Verdoppelung der Solisten durch einen kleinen Chor, der klangschönen Schola Heidelberg unter Walter Nussbaum, zu verdanken ist. Für die Solisten wechseln Zeitlupenhaftes, Abgehacktes, Pausen zwischen den einzelnen Silben und damit Tönen einander ab. Das Werk ist eher ein Meditieren über Gefühle, als dass es eine Handlung sich vollziehen lässt. Ohne hilfreiches Booklet wäre der Zuschauer ziemlich ratlos.
Nicht beschweren kann sich der Bariton André Schuen über seine Partie, die des Jägers, die ihm einige Möglichkeiten gibt, das schöne, geschmeidige Material auszustellen. Ensemblemitglied der Staatsoper Berlin ist Sarah Aristidou, deren Sopran auch noch in erstaunlicher Höhe erstaunlich gut klingt und die den wohl höchsten Schmerzensschrei aller Opernzeiten auszustoßen hat. Das ihr auch dreizehn Jahre nach ihrem ersten Auftritt verordnete Kinder-Hängerkleidchen samt Netzstrümpfen übersieht man da gern. Ebenfalls sehr hoch notiert ist die Partie der Gattin namens Midori, der Giulia Peri auch viel szenische Präsenz verleiht, gerade wenn sie ihre Gefühle hinter einer Sonnenbrille zu verstecken scheint. Schöne Verzierungen mit einer höchst angenehmen Mezzostimme auch in der Höhe singt Olivia Vermeulen als Geliebte Saiko. Michael Boder setzt seine reiche Erfahrung auch mit moderner Musik ein und macht aus den scheinbaren Gegensätzen von harmonisch Tonalem und scharf damit konkurrierenden Schlagzeugschlägen ein stimmiges Ganzes (C-Major 754208/ Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja