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Was uns die relativ ausführliche Ouvertüre zu dem relativ kurzen Einakter erzählen will, kann sich auch ein unbegabter Zuhörer so trefflich ausmalen wie beim Rosenkavalier. Alexander Zemlinsky türmt Leidenschaften, Zärtlichkeiten, Begehren in großartig orchestral wuchernder Manier hundert Takte lang aufeinander. Guido Bardi und Bianca haben offenbar nicht nur Händchen gehalten. „Der Florentiner Prinz Guido Bardi kniet vor Bianca. Sie haben ihre Hände verschlungen. Er sieht lächelnd zu ihr auf, als sie plötzlich zusammenschrickt, aufsteht und sich von ihm loslöst“. So die Szenenanweisung. Der Kaufmann Simone kehrt unerwartet von einer Reise zurück, spürt rasch, dass er Bianca und Guido inflagranti überrascht hat und es beginnt eine scheinbar artige Konversation, in die Wilde manche doppelbödigen Fallen eingebaut hat. Scheint es zunächst so als wolle Simone ein gutes Geschäft mit dem Sohn des Herzogs zu machen, schlägt die Stimmung langsam um, bis Simone den Prinzen mit dem Schwert herausfordert, ihn entwaffnet und zum Dolchkampf reizt und schließlich erwürgt. Berühmt wurde Biancas Begeisterung, „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so stark?“ und Simones Bewunderung, „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so schön!“.
„Sex. Macht. Mord“ bzw. „Sex and Crime in der Renaissance“, die Schlagworte, mit denen 2011 zwei unterschiedliche Borgia-Produktionen im Fernsehen beworben wurden, gelten auch für eine Reihe von Opern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Willkürlich ausgewählt: während des Ersten Weltkriegs wurden 1915 Schillings Mona Lisa, im Jahr darauf Korngolds Violanta, 2017 Zemlinskys Eine Florentinische Tragödie und 1918 Schrekers Die Gezeichneten uraufgeführt; und irgendwie könnte man Franz Schmidts Pariser Renaissance-Bild Notre-Dame von 1914 auch dazuzählen. Alle zeichnet der Klangrausch aus Spätromantik und Expressionismus aus.
Mit der in Stuttgart unter von Schillings uraufgeführten Eine Florentinische Tragödie vollbrachte der damals 27jährige Patrick Hahn Ende November 2022 im Prinzregententheater eine seine ersten Großtaten als Erster Gastdirigent des Münchner Rundfunkorchesters, das erneut seine bei vielen konzertanten Opernaufführungen unter Beweis gestellte besondere Befähigung für das Musiktheater ausstellen konnte (BR Klassik 900347); seinen Einstand hatte Hahn ein Jahr zuvor mit Ullmanns Der Kaiser von Atlantis gegeben . Hahn hat eine theatralisch packende, fast bühnennah wortverständliche Aufführung realisiert, die trotz der manchmal überbordenden Orchesterwogen durchsichtig bleibt, orchestrale Details der Celesta, Violine und Harfe ausleuchtet und die lauernden Momente in der Konversation der beiden Männer, des hell tenoralen, gleisnerischen Benjamin Bruns als Guido Bardi und des mit splitterndem Bariton mächtig auffahrenden Christopher Maltman als Simone, energisch und eindrucksvoll nachzeichnet. Rachel Wilson bleibt in diesem tödlich endenden Dreier, irgendwie außen vor. Ausgesprochen spannend. Rolf Fath