Technisch eindrucksvoll

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Seit langem den Opernfreunden bekannt ist das niederländische Label Pentatone und zwar beginnend mit dessen Aufzeichnung des konzertanten Ring in der Berliner Philharmonie unter der Stabführung von Marek Janowski. Aber auch die Krönungsfeierlichkeiten des holländischen Königs Willem Alexander fanden die Aufmerksamkeit des Labels, das inzwischen zur großen NaxosFamilie gehört und das 2022 in Dresden eine Studioaufnahme, wie von ihm gewohnt im Multi-Channel-Verfahren, von Giuseppe Verdis La Traviata mitten in der Corona-Krise wagte.

Ans Dirigentenpult hatte man mit Daniel Oren einen wenn auch ganz speziell und in jedem Jahr seit nunmehr Jahrzehnten unverzichtbar in der Arena di Verona wirkenden Dirigenten gerufen, der sich voller Elan mit rasanten bis frenetisch wirkenden Tempi in das Fest bei Violetta stürzt und auch bei dem von Flora alles andere als zimperlich ist, der aber auch ein kompetenter und rücksichtsvoller Sängerbegleiter ist und der aus der Dresdner Philharmonie sehr viel Italianità heraus zu kitzeln weiß. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden ist natürlich erfahren genug, den Orchestermitgliedern darin keineswegs nachzustehen.

An vielen großen Opernhäusern hat inzwischen Lisette Oropesa die Violetta gesungen, und sie verfügt durchaus über die drei unterschiedlichen Stimmen, die die Partie verlangt. Das Timbre ist apart, und in ihrer großen Szene im ersten Akt weiß die Sängerin angemessen zu wechseln zwischen fein Hingetupftem und hektisch Rasantem, Im È strano hat sie für l’amor einen sehr schönen Schwellton und generell ein feines Legato, dem allerdings stellenweise die Konsonanten geopfert werden. Genüsslich reizt sie die Extreme aus, lässt duftige Leichtigkeit mit frenetischem Aplomb in der Cabaletta einander abwechseln, erfreut den Hörer mit einer  reichen Agogik und kostet die sicher erreichte Extremhöhe genüsslich aus. Wie schwebend klingt im zweiten Akt das Dite alla giovine, auffallend generös wird im Morrò phrasiert und im Amami, Alfredo ein reiches Farbspektrum ausgebreitet. Ihre Klage im zweiten Bild des zweiten Akts zeichnet sich durch weitgespannte Bögen aus. Im dritten Akt vermeint man streckenweise Veristisches zu vernehmen, aber  ganz zart ist das Addio del passato mit einem schön ersterbenden Schlusston. Etwas unausgeglichen klingt das Parigi, o cara, was aber auch der Tenor zu verantworten hat, Prendi: quest’ è l‘immagine ist angemessen dumpf verhangen, der Schluss hoch dramatisch. Insgesamt ein überzeugendes Rollenportrait, das Lust darauf macht, diese Violetta auch auf der Bühne zu erleben.

Überhäuft mit Preisen wurde seiner Vita zufolge der amerikanische Tenor mit kubanischen Wurzeln René Barbera, dessen Stimmfarben ihn für Donizetti und Co. prädestinieren. Er verfügt über ein apartes Timbre, das zu dem seiner Partnerin passt, klingt allerdings etwas flach im Duett im ersten Akt, und die Stimme verliert an Farbe, wenn sie ins Piano wechselt. Immerhin weiß er sein Croce e delizia effektvoll zu singen, fällt in der Arie im zweiten Akt durch eine recht unruhige Stimmführung auf und hat in der tiefen Lage angenehm viel Substanz. Er singt beide Strophen der Cabaletta, wie später auch sein Vater, und auf dem sicher erreichten Spitzenton ruht er sich so genüsslich wie effektvoll aus. Im Forte wird die Stimme eher scharf als voluminös. Seine Leistung lässt nicht jubeln, aber auch nicht verzweifeln.

Eine gewaltige Baritonstimme, die allerdings durch ein eher dumpfes, gaumig klingendes Timbre irritiert, setzt Lester Lynch für den Giorgio Germont ein, und die italienische Diktion ist nicht perfekt. Pura siccome un angelo singt der Amerikaner in gut beherrschter mezza voce, er hält sich genau an die Anweisungen des Komponisten, was ihm hoch anzurechnen, weil nicht selbstverständlich ist. La provenza klingt empfindsam verhangen, die schwierige Cabaletta und sein Auftritt in der zweiten Szene des zweiten Akts haben die notwendige vokale Autorität, für die zweite Strophe der Cabaletta findet die Stimme feine Variationen.  Eine scharfzüngige Flora ist Ilseyar Khayrullova, eine sanfte Annina Menna Cazel und ein milder Grenvil Alexander Köpeczy. Ein in das Werk einführender Artikel und ein dreisprachiges Libretto erleichtern den Einstieg in die Oper (PIC 5186 956). Ingrid Wanja