Naja, ich hatte mehr erwartet. Klanglich vor allem. Nimbus ist ja berühmt für seine (nicht immer unangezweifelte) Technik der Hörbarmachung antiker Schellacks, und viele vergrabene Schätze kamen durch ihre Groß-Trichter-Behandlung ohrenschmeichelnd wieder zu Tage. Aber vielleicht war mit dem BBC-Band von 1954 des Don Giovanni unter Georg Solti aus Glyndebourne nicht mehr herauszuholen. Die Stimmen sitzen sehr dicht am Lautsprecher in den Rezitativen (die vielleicht für die Radioübertragung nachaufgenommen wurden?). Und die Tutti und mächtigeren Dynamiken wirken auf mich kratzig-übersteuert.
Wir hören eine muntere Aufnahme vom 17. Juli 1954, sehr lebendig im Rezitativ, was auf die Regie (Ebert) schließen lässt, aber auch eine sehr robuste. Meine Vorurteile gegen Georg Soltis uncharmante, ruppige Art der Musikführung namentlich bei Mozart werden hier nicht widerlegt. 1954 war Fritz Busch bereits zwei Jahre tot, und John Pritchard übernahm einige Mozart-Produktionen (so Idomeneo/EMI), andere fielen an Vittorio Gui (so der wunderbar poetische und herrlich besetzte Figaro, der ein Jahr später bei EMI herauskam und der für mich immer noch in seiner Gesamtsumme zu meinen Favoriten unter den Figaro-Aufnahmen zählt). Georg Solti hat nun 1954 den Don Giovanni unter sich und rumst sich viril hindurch. Sicher ist alles sehr spannungsvoll, aber eben: Mit Fritz Busch oder Vittorio Gui im Ohr ist man „not amused“.
Die Besetzung birgt Überraschungen und Schwächen. Da ist zum einen die Amerikanerin Margaret Harshaw als Donna Anna, und die ist kein Gewinn mit ihrem säuerlichen, unruhigen Ton – ein Misserfolg wie ihre Kollegin Rise Stevens als Cherubino bei Gui. Da ist ein ältlich-bröckeliger Hervey Allen als Commendatore (alles in Italienisch natürlich). Thomas Hemsley (gerne Purcells Aeneas auf manchen Aufnahmen) macht einen spielfreudigen, aber stimmlich uninteressanten Masetto. Glanz kommt mit Léopold Simoneau als etwas schwachbrüstigem Don Ottavio auf – sehr stilsicher, etwas larmoyant, stimmschön wie bekannt. Die Überraschung bietet der Amerikaner James Pease als erotischer, wendiger und eleganter Don Giovanni mit sehr gut produzierter, typisch amerikanisch-geschulter Baritonstimme, sehr überzeugend (wie in manchen Auftritten in Hamburg). Meine stets geliebte Sena Jurinac gibt eine entschlossene Donna Elvira mit schon recht abgedunkeltem Ton – vielleicht liegt es am Duck der Rolle oder der Regie, dass sie weniger charmant als ihre Ilia klingt, die sie noch zur selben Zeit singt. Vielleicht sang sie einfach (zu) viel in diesen Jahren. Aber sie ist eine stimmlich makellose, sehr präsente Elvira, wenngleich ich ihre Figaro-Contessa jener Jahre oder auch die dunkle, poetische Ilia vorziehe.
Für die deutschen Hörer kommen zwei Importe ebenfalls als Überraschung. Da ist zum einen der polternde Benno Kusche, mehr Baculus denn Leporello, ein wenig teutonisch-kraftvoll und eine ganz andere Farbe als der Rest – interessant. Und natürlich Anny Schlemm. Ich kann sie nicht hören, ohne an ihre schenkelschlagende Boulotte an der Komischen Oper Berlin zu denken, und bei dieser Zerlina hat Masetto später nichts zu lachen. Aber sie klingt mehr als präsent, vielleicht die Lebendigste von allen Beteiligten, mit tollem Italienisch und Mutterwitz. Eine wirklich gute Leistung.
Die Aufnahme hat eine merkwürdige Genesis – von der BBC laut Kommentar im dürftigen Booklet als 90-Minuten-TV(1954 ???)-Feature zusammengekürzt, wurde sie als Audio von der BBC noch einmal gesendet und ist die Quelle für diese Nimbus-Ausgabe. Aber man kennt ja andere BBC-Mitschnitte aus der Zeit, und die klingen einfach besser. So also freut man sich über die Schlemm, ich immer über die Jurinac, auch über Pease. Dass Georg Solti nur diese Don Giovanni-Serie in Glyndebourne 1954 dirigierte war vielleicht für Glyndebourne nicht der große Verlust. Auch seine späteren Mozart-Aufnahmen lassen mich nicht in Entzücken ausbrechen. Aber Nimbus ist eine britische Firma, und die Veröffentlichung mit dem Produktionsdatum von bereits 1999 ist wohl in erster Linie für den britischen Markt gedacht (3 CD Nimbus NI7964).
Angehängt sind Mozart-Konzert-Arien mit Italo Tajo von 1947 von der alten Cetra-LP unter Mario Rossi bei der RAI. Die werden sicher ihre Liebhaber finden, aber da Tajo hier nicht mitmacht (allerdings bei anderen Glyndebourne-Produktionen der Zeit durchaus), wären vielleicht frühe Zeugnisse der wirklich Beteiligten sinnvoll gewesen (Jurinac, Simoneau, Pease oder Schlemm?). G. H.