Spaziergang durch Alt-Kopenhagen

 

Ein ganz und gar anachronistisches Stück. Sozusagen die Fortsetzung von Edvard Griegs Suite Aus Holbergs Zeit, die er 1884 zum 200. Geburtstag des Dichters Holberg schrieb, Maskerade ist eine Oper, die sich nach der Wende zum 20. Jahrhundert zurückträumt in das alte Kopenhagen und die Zeit von König Friedrich IV., in das frühe 18. Jahrhundert und dessen Maskenfeste. Die Maskerade ist zugleich eine musikalisch-operngeschichtliche Verkleidung, denn die 1906 uraufgeführte dänische Nationaloper Maskerade von Carl Nielsen (1865-1931) greift zurück auf ein Stück des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg von 1724 und setzt sie gewitzt und mit altertümlichen Referenzen als ein Stück Alt-Kopenhagen in Szene. Ein gesungenes Bournonville-Ballett sozusagen. Es erinnert mich ungemein an Ermanno Wolf-Ferraris zeitgleiche Quattro rusteghi und seine mit Il Campiello noch bis in die 1930er Jahren reichenden Venedig-Veduten aus der Goldoni-Zeit. Es ist das Übliche: Leander will nicht die von seinen Eltern Jeronimus und Magdelone ausgewählte Braut heiraten, die Tochter ihres Nachbarn Leonard, sondern die Unbekannte, in welche er sich auf einem Fest verliebt hat. Schließlich stellt sich heraus, dass Leanders Wahl auf ebenjene Leonora fiel, die ihm seine Eltern ausgesucht hatten.

Es herrscht eigentlich kein Mangel an Einspielungen von Carl Nielsens Oper: Dänische Einspielungen von 1954 unter Launy Gröndahl, 1977 unter John Frandsen und 1996 unter Ulf Schirmer stehen nebeneinander im Regal. Michael Schønwandt, der im Vorjahr in Kopenhagen ins Studio ging, um nun pünktlich zu Carl Nielsens 150. Geburtstag eine neue Einspielung anzubieten, hatte bereits 2007 eine Aufnahme realisiert, weshalb er wohl als Experte für das Werk gelten darf. Dacapo hat die Aufnahme, wie es sich für ein Geburtstagsgeschenk gehört, in eine schöne Klappbox mit zwei Papptüten und englisch-dänischem Booklet mit ebenfalls zweisprachigem Libretto verpackt (Dacapo 6.220641-42). Alles bestens, da uns auch Schønwandt gleich mit der Ouvertüre in eine andere Epoche zoomt und das Geschehen liebevoll ausmalt, da sind zum einen die tänzerischen Elemente, zum anderen die Spitzweg-Szenen und knorrigen Details wie Jeronimus‘ Beschwörung alter Zeiten, die so schlicht anmutet, aber hinsichtlich ihres von Stephen Milling genüsslich ausgekosteten Stimmumfangs weit über eines von Nielsens dänischen Volksliedern hinausgeht, das Lied das Nachtwächters, der Zwiegesang zwischen ihm und dem Knecht Arv (Steffen Bruun und Christian Damsgaard), die lustige Szene zwischen Leanders Diener Henrik (Johan Reuter) und Arv, dem er eine Aufzählung seiner Sünden entlockt, und das flüsternd hinhuschende Duettchen zwischen Magdelone (etwas zu leicht: Anne Margarethe Dahl) und dem Nachbarn Leonard (eine kleines Kabinettstückchen des einstigen Wagner-Tenors Stig Fogh Andersen), die sich gemeinsam auf das Maskenfest stehlen: ein drollige nächtliche Szene, die uns Schønwandt und das Ensemble bildhaft suggestiv vorführen. Zu recht weist Schønwandt im Vorwort auf die Meistersinger und Falstaff-Bezüge hin. Dazu pulsierende und brillante Ensembleszene, wie das Finale des ersten Aktes, und vor allem das von Kotillon und dem gelegentlich auch auf dem Konzertpodium anzutreffenden Hahnentanz durchwobene Maskenfest des dritten Aktes, in dem sich endlich Leander und Leonora (Nils Jorgen Riis und Dénise Beck) finden. Das ist recht vergnüglich und klanglich vorzüglich. Man bekommt Lust, Maskerade auf der Bühne zu sehen. Doch wo? Die große Geburtstagsfeier, welche die Königliche Oper Kopenhagen, im Frühjahr mit Nielsens beiden Opern – auch dem Erstling Saul und David – ausrichtete, ist vorbei. Rolf Fath

 

Foto oben: Carl Nielsen als Kind / Royal Danish Library/npr.org