Giacomo Meyerbeer ist heute vor allem wegen seiner großen französischen Opern bekannt, die gerade in den letzten paar Jahren eine ausgesprochene Renaissance erleben (Venedig, Chemnitz, London, Nürnberg, Karlsruhe und nicht zuletzt die Deutsche Oper Berlin mit ihrem Meyerbeer-Zyklus und nach Dinorah mit dem gerade präsentierten Vasco da Gama). Doch er hat als junger Mann während seines transalpinen Studienaufenthaltes auch eine Reihe von italienischen Opern geschrieben. Jetzt ist bei dem jungen Wiener Label Newplay eine dieser erschienen, Emma di Resburgo. Mit dabei: große Stimmen wie Simone Kermes und Vivica Genaux. Es handelt sich um einen bereits radioübertragenen Livemitschnitt aus dem Wiener Konzerthaus von 2010. Dass diese konzertante Produktion überhaupt stattgefunden hat, ist dem zunehmenden Interesse an den sechs italienischen Opern Meyerbeers geschuldet, die in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Forschung geraten sind. Der junge Meyerbeer, enttäuscht über seine Misserfolge in Wien und München, ging nach Italien, um dort sein Glück mit italienischen Opern zu versuchen. Und siehe da, es klappte, 1819 gelang Meyerbeer schon mit seiner dritten italienischen Oper der erste Welterfolg, und das war eben diese Emma di Resburgo.
Wie auch alle anderen italienischen Opern klingt die Emma sehr nach Rossini. Es ging Meyerbeer wohl darum, zu zeigen, dass auch ein deutscher Komponist durchaus im Rossini-Stil schreiben und sogar erfolgreicher sein kann als Rossini selbst. Das Ganze war eine gewaltige Provokation – diese Emma war für Venedig, wo Rossini selbst nur wenige Wochen vorher eine neue Oper herausbrachte, Eduardo e Christina, nach Meinung vieler Rossini-Experten die schlechteste Rossini-Oper überhaupt. Da hatte es Meyerbeer relativ leicht, mit seiner Emma abzuräumen, die sich zwar gebärdete wie Rossini, aber eben gewürzt war mit effektvollen Superlativen. Alles war bei Meyerbeer eine Spur raffinierter, eleganter, lauter oder länger als bei
Rossini.
Wichtig war und ist das Werk, weil mit ihr der intensive Ästhetik-Streit um Meyerbeer in Deutschland einsetzt. Schon bald war das Werk in vielen deutschsprachigen Städten zu sehen, in Dresden, Wien, Frankfurt am Main und Berlin. Carl Maria Weber, ein enger Freund Meyerbeers, fand die Emma abscheulich, für ihn war sie pure Rossini-Anbiederei. Dirigiert hat er sie trotzdem in Dresden, der Freundschaft zuliebe. E.T.A. Hoffmann dagegen, der sonst sehr skeptisch war in Fragen neuer italienischer Oper, verteidigte das Werk und mahnte das Publikum, genau hinzuhören und auf die Neuheiten zu achten. Schön, dass wir uns jetzt endlich selbst ein Bild von der umstrittenen Oper machen können!
So sehr ich geneigt bin, Hoffmann recht zu geben, so sehr bin ich auch bei einem Rezensenten der Berliner Premiere von 1820, der mit dem Plot wenig anfangen konnte: „Bei der Oper kann hier nicht von Inhalt die Rede sein, da dieser bei solchen italienischen Werken selten von Bedeutung ist.“ So notiert er gelangweilt. Da hat er nicht so unrecht. Eigentlich geht es hier um spannende Themen wie Flucht und Emigration – das Ganze spielt in Schottland, wohin eine Familie flieht, deren Oberhaupt fälschlich des Mordes angeklagt ist. Die Familie wird enttarnt und der Mann beinahe gelyncht. Zum Schluss kann aber die Unschuld des angeblichen Mörders bewiesen werden. Eigentlich also ein typischer Meyerbeer-Politthriller. Aber Meyerbeer hatte damals längst noch nicht so viel Einfluss auf Libretti wie in Frankreich, und so kommt das ganze doch eher dröge und und verschlungen daher, eingezwängt in die Konventionen der italienischen Opera seria. Man tut also gut daran, den Plot zu vergessen und ganz der wirklich sehr inspirierten Musik zu folgen.
Schöne Stimmen, unzulängliche Präsentation: Es gab Kritiker, die murrten etwas über einige nicht ganz sauber spielende Musiker im Ensemble Moderntime 1800. Mich stört das nicht so, weil der Drive und Enthusiasmus, mit dem Dirigent Andreas Stöhr seine Musiker anfeuert, vieles wieder wettmacht. Wichtiger ist, dass die Sänger stilistisch dem reich verzierten Gesangsstil gerecht werden, und da kann man nun wirklich nicht meckern. Mit Simone Kermes und Vivica Genaux in den Hauptpartien stehen souveräne Primadonnen vor dem Mikrofon, die mit Meyerbeers virtuosen Anforderungen überzeugend fertig werden. Auch Sänger wie Thomas Walker und Manfred Hemm sind dieser Tour de force durchaus gewachsen. Einziger Wermutstropfen: Das junge Label Newplay hat zwar Belcanto-Fans mit dem Mut, den Mitschnitt zu publizieren, einen Riesengefallen getan, der CD merkt man aber an, dass in Sachen Oper noch Erfahrung gesammelt werden muss. Die Trackliste ist völlig unzureichend, und beim Booklet hätte man sich (immerhin ist dies ein österreichisches Label!) neben dem englischen auch einen deutschen Text gewünscht. – Angesichts des moderaten Preises und der schönen Musik sollte der Opernfreund aber für diesmal ein Auge zudrücken. Besser so als gar nicht (2 CD Newplay NE003). Matthias Käther