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Das winzige Quäntchen Unzufriedenheit, das das vollkommene, hundertprozentige Opernglück trübt, ist die Tatsache, dass Don Ottavios zweite Arie, Il mio tesoro intanto, zwar im viersprachigen (!) Libretto des Booklets, aber weder auf der Chateau de Versailles-DVD noch der -BLu-ray von Mozarts Don Giovanni zu finden ist . Nicht das Palais Garnier, schon gar nicht die Opéra Bastille oder die Opéra Comique bescheren ansonsten eine makellose Aufführung des drama giocoso im Schloss von Versailles, sondern die dort ansässige Opéra Royal mit dem dazu gehörigen Orchester, dem Chor und dem Ballett. Das Theater wurde unter Louis XV. in einem Seitenflügel des Schlosses eingerichtet und führt regelmäßig in einem im Wesentlichen gleich bleibendem Bühnenbild, nicht unähnlich dem Palladio-Opernhaus in Vicenza, vor allem Werke auf, die nicht nach der Einweihung des Saals entstanden sind.
Was als erstes nicht nur überzeugt, sondern gerade entzückt ist die Optik, insbesondere die Kostüme von Christian Lacroix, höchst geschmackvoll, vielleicht ein wenig zu prächtig bunt für das Landvolk, aber ganz sicherlich in ihrer stilsicheren Eleganz den Sängern die Gewissheit verschaffend, durchgehend bella figura zu machen, was sich nicht selten auch auf eine optimale gesangliche Leistung auswirken kann. Die Regie von Marshall Pynkoski beschränkt sich auf sinnvolle Arrangements im Stil der commedia dell‘arte, wobei die Mitwirkung der Choreographin Jeanette Lajeunesse Zingg auch die tumultartigen Szenen wie den Schluss des ersten Akts zu choreographischen Kunstwerken werden lässt, was auch für das Auftischen des Mahls oder für die Prügelszene gilt. Dabei führt das Einhalten einer Etikette der Eleganz keineswegs dazu, den Zuschauer weniger am Schicksal der Figuren teilnehmen zu lassen, im Gegenteil, was auch das Herein- und Hinaustragen von Requisiten bei offenem Vorhang nicht tut, ein angenehmer Schwebezustand zwischen Realität und Illusion bleibt stets erhalten. Am Schluss dröhnt eine mächtige Lache Don Giovannis, der gerade zuvor in wild geschwenkten roten Tüchern den Flammentod erlitten hatte, durch den Saal, das gerade verklungene Sextett Lügen strafend.
Wie die optische, so ist auch die akustische Seite der Aufführung (fast) ausnahmslos Freude spendend. Gaétan Jarry kann bereits mit der Sinfonia eine nie nachlassende Spannung und Gespanntheit aufbauen, stilsicher ist Steve Bergeron als pianiste accompagnateur, zu einer quirligen Einheit schmelzen Chorsänger und Balletttänzer zusammen.
Nicht wie ein spanischer Grande in der Blüte seiner Jahre, sondern eher wie ein Cowboy mittleren Alters mit Rauschebart wirkt leider Robert Gleadow, eigentlich ein erfahrener Mozartsänger und doch hier auch akustisch recht grobschlächtig wirkend und als Einziger nicht ideal den Vorstellungen von der Partie entsprechend, an einen Ruggero Raimondi darf man gar nicht denken, auch wenn das Wissen um die Bedeutung der Rezitative imponiert. Das ist aber der einzige Fast-Ausfall. Überaus gewandt in Spiel wie Gesang zeigt sich Riccardo Novaro als Leporello, der die Registerarie nicht nur singt, sondern auch nicht nur bei „porta la gonella“ spielt. Angsteinjagend ist Nicolas Certenais als Komtur mit tatsächlich Grabesstimme. Elegant und geschmeidig in jeder Hinsicht ist Jean-Gabriel Saint Martin als ungewöhnlich charmanter Masetto. Zum Glück nicht als blässlichen Schwächling stellt Enguerrand de Hys den Don Ottavio dar, der auch akustisch gar nicht anämisch trocken, sondern in Dalla sua pace variationsverliebt und höhensicher ist. Durchweg optisch höchst attraktiv, wobei die Kostüme hilfreich sind, zeigen sich die drei Damen. Die Donna Anna von Florie Valiquette macht viel aus den Rezitativen, erreicht jede Höhe mit Leichtigkeit und ist sicher in den Koloraturen. Ab und zu eine leichte Schärfe wirkt nicht wie ein Makel, sondern ist der intensiven Interpretation geschuldet. Etwas runder und wärmer klingt der Sopran von Arianna Vendittelli in schlanker Farbigkeit. Die Zerlina von Éléonore Pancrazi singt ihre zweite Arie mit schönen Verzierungen, ist mehr als eine Soubrette, ohne auf deren Charme zu verzichten, wozu allerdings nicht gehört, dass sie Geld von Don Giovanni nimmt. Aber irgendwie muss sich die Regie schließlich profilieren.
Es gibt nicht nur das umfangreiche Booklet mit vielen Informationen und Fotos, sondern auch gleich außer der Blu ray eine DVD, so dass man sich davon überzeugen kann, ob die neuere Technik tatsächlich Vorteile bringt (CVS 115). Ingrid Wanja