Die zentralen Sätze stehen am Schluss des Einakters. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so stark?“ fragt Bianca „in zarter Begeisterung“. Und Simone antwortet, „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du so schön!“ Es brauchte des Mords an Guido, bis sich das Ehepaar in die Arme sinken kann. Sozusagen als Therapie. Simone kehrt unerwartet von einer Geschäftsreise zurück und überrascht seine Frau mit dem jungen Prinzen. Zunächst unterwürfig, dann aber nachdrücklich stellt er sich dem Nebenbuhler, der nach starkem Weingenuss Bianca seine Liebe erklärt. Aus harmlosem Geplauder wird ein Zweikampf. Simone fordert Guido zum Duell, ermordet ihn dann aber mit bloßen Händen. Die Begebenheit trägt sich nicht im Wien der vorigen Jahrhundertwende zu, wo die Dreiecksgeschichte im Licht der Psychoanalyse hinreichend Material für unterdrückte Lüste geboten hätte, sondern im Florenz der Renaissance. Renaissancestoffe lagen in der Luft. Auch hoffte Alexander von Zemlinsky möglicherweise auf einen Sensationserfolg, wie ihn Strauss mit seiner Salome erlebt hatte, als er nach Oscar Wildes unvollendeter A Florentine Tragedy von 1893 griff. Die Uraufführung der Florentinischen Tragödie erfolgte 1917 in Stuttgart unter Leitung des Generalmusikdirektors Max von Schillings, der mit Mona Lisa selbst eine düstere Renaissance-Oper geschrieben hatte. Zemlinsky war unzufrieden mit dem dirigierenden Kollegen. Wenige Wochen später leitete er selbst in Prag, wo er bis 1927 Musikdirektor am Landestheater war, eine Aufführung. Kurz darauf folgte die Premiere an der Wiener Hofoper, nach der Alma Mahler gegenüber ihrem einstigen Lehrer ihr Befremden bekundete. Kein Wunder. Sie sah darin einen unverblümten Hinweis auf ihre eigene Affäre mit Walter Gropius im Jahr vor Mahlers Tod. Rache eines Enttäuschten, der sich einst hoffnungslos in seine Schülerin verliebt hatte? Er sei „ein scheußlicher Gnom“, hatte Alma, damals noch Schindler, befunden, „klein, kinnlos, zahnlos, immer nach Kaffeehaus riechend, ungewaschen“, aber eben auch „ungeheuer faszinierend“. Zemlinskys schriftlich Antwort ist der Schlüssel zum Verständnis des Werkes: „Zwei Menschen leben aneinander vorbei. Er versäumt, ob seiner Leidenschaft zu seiner Lebenstüchtigkeit die Schönheit und das lebenssehnsüchtige Weib neben sich, sie, die auf das Leben neben ihrem Mann wartet, fühlt sich um ihre Jugend und Schönheit betrogen, wird lieblos und unglücklich und scheinbar voller Hass. Eine furchtbare Katastrophe ist notwendig, um beide zu Bewusstsein zu bringen… Eine wirkliche Tragödie, weil ein Menschenleben geopfert werden musste, um zwei andere zu retten. Und Sie, gerade Sie, haben das missverstanden?“
Er „sei der Forschung gleichsam abhanden gekommen“, hatte noch in den 1970er Jahren das Feuilleton geistreich formuliert. Eine Florentinische Tragödie stand am Beginn der dann einsetzenden Zemlinsky-Wiederentdeckung, die vermutlich korrekt mit Gerd Albrechts Aufführung der beiden Wilde-Einakter Eine Florentinische Tragödie und Der Geburtstag der Infant bzw. Der Zwerg 1981 in Hamburg zu datieren ist. Den Weg dazu ebnete die Zemlinsky -Retrospektive 1974 beim Steirischen Herbst in Graz, ja, und Kiel hatte bereits 1977 die Tragödie gespielt. Doch den eigentlichen Durchbruch erzielte Gerd Albrecht im Zusammenspiel mit Dresens Inszenierung. Ich erinnere mich noch deutlich, welch gewaltigen Eindruck die Aufführung bei ihrem Gastspiel in Wien auf die lokale Musikszene ausgeübt hatte. Während der Zwerg fast ein Repertoirestück geworden ist, ist die Florentinische Tragödie seltener anzutreffen. Umso wichtiger ist der bei Capriccio, dem Zemlinsky-Label schlechthin, erschienene Mitschnitt eines Wiener Konzerts aus dem Mai 2010 unter Bertrand de Billy (Capriccio C5325). Als einzige offizielle Aufnahmen scheinen ansonsten nur die einst bei Schwann erschienene Aufnahme Gerd Albrechts mit den Sängern der Hamburger Aufführung sowie die Decca-Aufnahme unter Riccardo Chailly zu existieren. Die neue Aufnahme ist insofern wichtig, da sie, so will mir scheinen, zwar nachdrücklich das Augenmerk auf den glänzenden Instrumentierungskünstler lenkt, der in seiner Musik Makartschen Prunk mit Wiener Sezession verschmilzt, aber auch eine dramatische Löchrigkeit und einen Hang zur geschickten, manchmal auch floskelhaften Anverwandlung offenbart. Immer wenn das Orchester entscheidend die Handlung kommentiert, ist die Musik jedoch von einer erlesenen Qualität. Und obwohl Zemlinsky ausgesprochen sängerfreundlich schreibt, finde ich die Gesangslinien inzwischen oft etwas länglich. Sie kommen nicht richtig von der Stelle, es fehlt das Pulsieren, der dramatische Drive. Unter de Billys Leitung spielt das ORF Orchester die Musik Zemlinskys, der die Pfade der bekannten Harmonik nie verließ, so straussüppig und spätromantisch sinnlich und wie einen Ableger der Salome als wolle es alle Einwände abwehren. Die Besetzung ist gut. Wolfgang Koch gibt dem Kaufmann Simone eine herbe deutsche Italianità, singt großbogig, ausdruckvoll und nachdrücklich, daneben setzt Heidi Brunner glühende Farben ein, wirkt aber zwischen Sopran und Mezzosopran als Bianca zu sehr strapaziert – Doris Soffel hat (unter Albrecht) einfach mehr Klasse – , und Charles Reid kann als Guido nicht wirklich Profil entwickeln, was zum Teil auch an der Partie liegt.
Jede seiner Opern klingt anders. Hat sozusagen ein eigenes Gesicht oder soll man sagen, trägt eine andere Maske, das historische Gründerzeitgemälde Sarema, das Märchen Es war einmal, das mozarthafte Kostümspiel nach Keller Kleider machen Leute, die symbolhafte Fin-de-siècle Künstleroper Der Traumgörge, der von ihm unvollendet hinerlassene König Kandaules nach dem Drama von André Gide, der sich als Gegenstück zu Szymanowskis Król Roger denken lässt, oder die fast wie hingetupft wirkende Chinoiserie Der Kreidekreis nach Klabund, in deren Wiederauflage man leider auf das Libretto verzichten muss (Capriccio C 5190). Die Musik ist aber so durchsichtig und leichtfüßig, die Sprechtexte so klar, dass sich das Mitlesen erübrigt. Gleich zu Beginn in der Bordellatmosphäre des Teehauses springt uns der jazzige Songstil Weills an. Und man denkt ständig an das Theater Brechts – nicht nur weil Der Kaukasische Kreidekreis den gleichen Stoff behandelt und Klabunds Frau, Carola Neher, die vielfach in der Hauptrolle des 1925 uraufgeführten Stücks aufgetreten war, zwei Wochen nach Klabunds Tod die Polly in der Uraufführung der Dreigroschenoper war. In Berlin wurde Klabunds Stück durch eine Inszenierung Max Reinhardts zum Erfolg. Dadurch muss auch Zemlinsky auf den Stoff für seine letzte vollendete Oper aufmerksam geworden sein, die 1933 in Zürich uraufgeführt wurde und 1934 an die Berliner Staatsoper gelangte Das Stück, dessen Figuren im Sinn des chinesischen Theaters Typen ohne Entwicklung sind, ist Märchen und Sozialdrama, Gegenwartsstück und China-Mode. Zemlinsky illustriert das mit Flöte und Gong und Saxophon, mischt mit parodistischer Kürze Unterhaltungsmusik darunter, die Musik ist rhythmisch alert und revuehaft wendig, die Stilzitate und Anklänge an Strawinsky, an Strauss, sind dezent. Der Kreidekreis bleibt – trotz aller modischen Anverwandlungen und Zitate – ein zögerlicher Avantgardismus. Kein Zeitstück. Die Wiederbegegnung mit der von Stefan Soltesz dirigierten Aufnahme ist interessanter als ich sie in Erinnerung hatte. Das Ensemble ist so prominent und sorgfältig ausgewält, wie es 1990 in Berlin möglich war, auffallend wie auszeichnet die Sprechtexte von den Sängern umgesetzt werden. Durchdringend, aufrichtig und selbstbewusst die auf Tonträgern kaum vertretene Renate Behle als die an den Mandarin verkaufte Haitang, dazu Siegfried Lorenz, Reiner Goldberg, sogar Peter Matic und in Kleinstpartien Gidon Saks und Warren Mok am Anfang ihrer Karriere.
Schönberg verdankte seinem einzigen Lehrer, „fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens“. Webern bat Zemlinsky um Hilfe, wenn er mit seinen Werken die Professoren verschreckte, Berg widmete Zemlinsky seine „Lyrische Suite“. Die Neue Wiener Schule ist ohne Zemlinsky undenkbar. Seine „unglaubliche Technik“ (Mahler) kommt in den von Gerd Albrecht dirigierten Drei Ballettstücken zum Ausdruck, einer 1903 in Wien uraufgeführten Suite nach dem nie fertig gestellten Ballet Der Triumph der Zeit zum Ausdruck, wo Albrecht 1992 in der Hamburger Musikhalle seine gesamte Zemlinsky- Erfahrung aufbot, um diese golden schillernden, vor Lebensglück berstenden Klänge mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg in kinohaftem Breitwandformat einzufangen. Die späten Symphonischen Gesänge op. 20 auf sieben Gedichte schwarzer amerikanischer Dichter nehmen den Zeitgeist auf, ohne Jazz oder Blues zu zitieren. Franz Grundheber gibt den entrückt und artifiziell wirkenden Vertonungen ein Höchstmaß an emotionaler Dichte (Capriccio 10 448). Der kurze Monolog des Gyges aus Der König Kandaules machte zum Zeitpunkt der Aufnahme Sinn, da die Oper erst vier Jahre später in Hamburg uraufgeführt wurde. Wieder mit Albrecht am Pult. Rolf Fath