Kräftig wird zum Zeichen des Beginns mit einem Stab auf den Boden gestampft, dass man fürchten muss, der Dirigent möge sich keine tödliche Infektion zuziehen wie einst Lully. Hat er natürlich nicht. Hans Rosbaud überlebte diese Cosi fan tutte noch fünf Jahre. Es handelt sich um die Aufführung vom Festival in Aix-en-Provence aus dem Jahr 1957. Eine Legende. Ich kannte sie bislang nicht, weshalb die Ausgabe des Labels INA mémoire vive umso mehr willkommen ist. Das Institut National de l‘ Audiovisuel hat eine sparsam erscheinende Ausgabe mit fundiertem Textheftchen herausgebracht, das ein sehr interessantes, informatives, wenngleich ungemein selbstgefälliges Interview mit Gabriel Dussurget enthält, der die Geschicke des von ihm mitbegründeten Festivals bis 1972 leitete.
Rosbaud schlägt in der vom Alfonso dieser Aufführung, Marcello Corti, in den Bühnenbildern von Balthus – jenes Balthus, von dem das Essener Museum Folkwang im Zuge der Pädophilie-Debatte kürzlich eine Ausstellung absagte – inszenierten Aufführung ein Tempo an, das einem schier den Atem nimmt, findet aber in der Begleitung der Sänger das rechte Maß aus jugendfrischer Spontaneität, alertem Tempo und ein wenig knisternder Gefühlstiefe. Vor allem spielt er eine Komödie: quietschend lustig. Es war die Stunde eines jungen Ensembles. Die 22jährige Berganza, später häufig eine zurückhaltende Interpretin, ist bei ihrem Aix-en-Provence- Auftritt, der zugleich ihr Debüt war, eine kernige und zupackende, elegante und angesichts des Alters erstaunlich reife Dorabella, sie singt sozusagen mit Biss und Selbstbewusstsein, die andere Teresa, die 30jährige Stich-Randall, ist daneben manchmal ein wenig scharf und lasch, sehr kunstvoll, wenn auch mit einigen gequälten Tönen im Rondo, dabei damenhaft neutral als Fiordiligi. Mariella Adani ist eine resche Despina, wie man sie sich nur wünschen kann. Der 27jährige Luigi Alva klingt etwas scheu, wartet als Ferrando mit einem schönen feurigen Timbre auf. Rolando Panereis Guglielmo, er war mit 33 Jahren der älteste der vier Liebenden, ist mir zu grimassierend gesungen. Ein Dokument: im zweiten Akt sind einige Momente aufgrund des Ausgangsmaterials klanglich dürftig und man darf sich nicht daran stören, dass der Souffleur ein wichtiges Wort mitzureden hat und die Aufführung auf bekömmliche 2 Stunden 20 Minuten zurechtgestutzt wurde.
Noch interessanter ist der Mitschnitt eines Konzert vom Mai 1951 aus dem Théâtre des Champs-Elysées, wo Ernest Ansermet die „opéra comique de chambre“ Le diable boiteux von Jean Françaix und das Opern-Oratorium Oedipus Rex von Strawinsky leitete (ebenfalls von INA); Hauptaugenmerk liegt dabei auf Hugues Cuénod und Jean Vilar. Der 20minüter Le diable boiteux ist ein heiteres kleines Werkchen, das die bis zu seinem Tod 1901 mit Edmond de Polignac verheiratete Singer Nähmaschinen-Erbin Winnaretta de Polignac bei Françaix in Auftrag gab. Die kleine Oper für zwei handvoll Instrumente wurde 1938 im Salon der Fürstin in der Avenue Henri-Martin uraufgeführt. Es dirigierte Nadia Boulanger, es sangen der Bass Doda Conrad und der Tenor Hugues Cuénod, der das Stück in den kommenden Jahrzehnten überall aufführte. Cuénod ist auch der Solist in diesem Konzert. Mit fadendünner Stimme purzelt er durch die spanische Geschichte vom Hinkenden Teufel, die Alain-René Lesage 1707 nach einer spanischen Vorlage entworfen hatte, spricht, singt, wechselt ins Falsett. Recht nett. Geschickt ist die Kopplung mit einem Werk, das auch ein Ergebnis des regen künstlerischen Austauschs der Gattungen in den 1920er und 1930er Jahren in Paris war, dem zehn Jahre vorher am heutigen Théâtre du Châtelet, damals Théâtre Sarah Bernhardt, uraufgeführten Oedipus Rex. Cocteaus Text wird von Jean Vilar gesprochen, der Leiter des Théâtre National Populaire geworden war, auch wenn man ihm 1951 einen Mangel an Gefühl bescheinigte, wirkt er heute geradezu emphatisch. Das restliche Ensemble ist unauffällig, darunter der grell charakterisierende Ödipus von Joseph Peyron, den man u. a. durch Aufnahmen von opéra-comiques von Audran, Ganne, Boieldieu, Hérold, aber auch Ravels L’enfant et les sortilèges kennt.
Rolf Fath
W. A. Mozart: Cosi fan tutte mit Teresa Stich-Randall (Fiordiligi), Teresa Berganza (Dorabella), Mariella Adani (Despina), Luigi Alva (Ferrando), Rolando Panerei (Guglielmo), Marcello Cortis (Don Alfonso). Choeurs du Consevatoire, membres de l’Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire, Leitung: Hans Rosbaud; INA, mémoire vive IMVO24
Igor Strawinsky: Oedipus Rex/ Jean Françaix: Le diable boiteux mit Hugues Cuénod (Tenor, Le diable boiteux), André Vessières (Bass, Le diable boiteux), Jean Vilar (Erzähler), Marie-Thérèse Hollet (Jocaste), Joseph Peyron (Oedipe), André Vessières (Tirésias), u.a.; Orchestre national; Leitung: Ernest Ansermet; INA, mémoire vive IMVO47