Zwei Opern nach Texten von Paul Claudel. Bemerkenswerter Zufall. Claudel hat neben einigen christlich fundierten und symbolistischen Bühnenwerken, darunter das unbegreifbar umfangreiche, fast nur von Festspielen zu bewältigende Stück Der seidene Schuh, auch die Basis zu einigen Opern geliefert. Am bekanntesten ist wahrscheinlich sein Text zu Honeggers dramatischem Oratorium Jeanne d‘ Arc au bûcher; daneben fertigte er Libretti für L‘ Orestie an, die Aischylos-Bearbeitung für die Trilogie L‘ Orestie d‘ Eschyle und den 1930 an der Berliner Staatsoper uraufgeführten Christoph Colombe, der dort Ende der 1990er Jahre in Peter Greenaways Inszenierung nochmals eine kurze Auferstehung feierte. Bei Verkündigung von Walter Braunfels handelt es sich um kein Originallibretto, sondern die deutsche Übersetzung seines ersten Bühnenerfolgs L‘ Annonce faite à Marie (Mariä Verkündigung), der den Komponisten, der wie Milhaud ebenfalls zum Katholizismus übergetreten war, besonders angesprochen haben muss. Milhauds zwischen 1913 und 1922 entstandene Trilogie, bestehend aus L‘ Agamemnon, einer knapp 12minütigen Szene für Sopran (Klytämnestra) und Chor, Les Choéphores, sieben etwa 30minütige Bühnenmusiken für Sopran (Elektra), Bariton (Orest) und Sprecher, und schließlich der knapp hundertminütigen, dreiaktigen Oper Les Euménides, liegt nun als Mitschnitt (Naxos) – und mehr noch world premiere recording – von der University of Michigan vor, wo Dirigent Kenneth Kiesler offenbar alles auf dem Campus mobilisierte, was singen konnte. Den Anstoß gab William Bolcon, der noch bei Milhaud studiert hatte. L‘ Orestie zeigt das Muskelspiel eines jungen Komponisten, der sich unerschrocken der gewaltigen Herausforderung stellte, relativ konventionell mit der Szene für Sopran begann und drei Jahre später in Les Choéphores mit dem umfangreichen Schlagwerk und der rhythmisch vertrackten Struktur aber schon etwas mutiger operierte. Die Eumeniden sind eine profunde, durchkomponierte dreiaktige Oper für umfangreiches Orchester mit interessanten, archaisch wuchtigen Chorsätzen und einer schwer zu fassenden, schillernden, strotzenden Musik. Trotz allen Chor- und Orchesterwütens und Klingelns wirkt das Stück heute wohl ein wenig altmodisch. Wiederaufführungen, darunter Sellners Versuch 1963 an der Deutschen Oper Berlin, scheinen äußerst selten gewesen zu sein, weshalb den Konzertaufführungen aus dem April 2013 im Hill Auditorium, die zudem eine Lücke im CD-Regal schließen, eine gewisse Bedeutung zukommt. Angeführt von der hochdramatischen Lori Phillips als Klytämnestra und Dan Kampsons aufrechtem Orest-Bariton widmen sich alle Beteiligten mit Hingabe der Rarität. Das Beiheft enthält eine ausreichende Einführung in Werk und Aufführung (engl., frz.), das Libretto lässt sich bei naxos.com herunterladen (Naxos 2 CD 8.660349-51). Nachdem er von den Nationalsozialisten von seinem Amt als Direktor der Kölner Musikhochschule vertrieben worden war, fand Walter Braunfels während seiner inneren Emigration bei Paul Claudel und dessen geistlichem Theater Zuflucht, vor allem in dessen L‘ annonce faite à Marie, Mariä Verkündigung. Das Heilsversprechen wurde 1948 in Köln uraufgeführt, gelangte aber erst 2012 in Kaiserslautern neuerlich auf die Bühne. Die gottesfürchtige Violaine gibt dem Dombaumeister Peter von Ulm einen Kuss, obwohl sie dieser zu vergewaltigen versuchte, und nimmt dadurch den Aussatz von Peter in Kauf. Sie erkrankt, verliert ihren Verlobten Jakobäus an ihre neidige Schwester Mara und lebt unter den ausgegrenzten Kranken. An einem Weihnachtsabend Jahre später erscheint Mara mit ihrer toten Tochter bei der inzwischen blinden Violaine und bittet sie, ihr Kind zu Leben zu erwecken. Das Wunder geschieht. Aus Eifersucht versucht Mara Violaine umzubringen. Der inzwischen geheilte Peter findet die sterbende Violaine, bringt sie nach Hause, wo Jakobäus erkennt, dass sie nur ihn liebte. Zwei Gesamtaufnahmen der Verkündigung liegen mittlerweile vor, ein Kölner Konzert von 1992 unter Dennis Russell Davies (Warner Classics) und nun der im Dezember 2011 entstandene Konzert-Mitschnitt aus München unter Ulf Schirmer (BR Klassik), bei dem das solide Beiheft mit Aufsatz, Lebensdaten, Schirmer-Interview (dt., engl.), einigen historischen Fotos und deutschem Libretto auffällt. Die Münchner Aufnahme ist von einer spannenden durchsichtigen Brillanz, herb und ausdrucksvoll im Klang, und die Besetzung ist mit der klar ernsthaften Juliane Banse als Violaine und Matthias Klink (Peter), der sich in den letzten Jahren vom rein lyrischen Tenor in allen möglichen Fächern und Partien zu einem ungemein vielseitigen Interpreten entwickelt hat, ausgezeichnet. Robert Holl ist eindrucksvoll als greiser Vater Andreas Gradherz, Hanna Schwarz bringt als Mutter Reste ihrer Stimme wirkungsvoll zum Einsatz, Janina Baechle fehlt es ein wenig an Profil für die „schwarze“ Mara, und Adrian Eröd, der relativ leicht gegenüber John Bröcheler bei Russell Davies wirkt, singt den Jakobäus mit liedhafter Schlichtheit (BR-Klassik 2 CD BR-KLASSIK 900311). Rolf Fath