Die Reihe der Einspielungen von Werken Johann Simon Mayrs setzt Naxos mit dem Dramma per musica Telemaco nell’isola di Calipso fort, das 1797 in turbulenten politischen Zeiten im von Napoleons Truppen besetzten Venedig zur Uraufführung kam (8.660388-89). Viele Komponisten haben die mythologische Geschichte von Telemaco vertont. Der Sohn Ulisses strandet auf einer Insel und begegnet dort der Göttin Calipso, die einst von seinem Vater verlassen wurde, wofür sie sich am Sohn rächen will. Für diesen empfindet die Nymphe Eucari Zuneigung, was Calipsos Zorn hervorruft, denn auch sie schwankt zwischen Liebeshoffnung auf Telemaco und Zorn. Mentore, Telemacos Freund und Begleiter, der zunächst vermisst wird, später aber erscheint und von Calipso umgarnt wird, gemahnt seinen Schützling zur Abreise von der Insel. Statt Liebesabenteuern soll er sich für Heimat und Ehre entscheiden.
Spiritus rector des Unternehmens ist der Dirigent Franz Hauk, der 2003 den Simon Mayr Chor gründete und viele Produktionen der Serie verantwortete. Auch hier steht er am Pult, diesmal des Concerto de Bassus – einem Ensemble, das sich aus Studenten und Absolventen der Münchner Universität für Musik und Darstellende Künste zusammensetzt. Dem Dirigenten gelingt eine solide Einspielung, die vor einer konzertanten Aufführung des Werkes am 5. September 2015 in Neuburg an der Donau entstand.
Die Besetzung wird dominiert von vier Sopranen, die sich in ihren Timbres nicht sonderlich voneinander abheben, was das Klangbild etwas einförmig macht. Siri Karoline Thornhill in der Titelrolle singt kultiviert und hat in einer Kavatine von mozartscher Gefühlstiefe („Bella Dea“) Gelegenheit für empfindsamen Gesang. Auch ihr Solo im 2. Akt („La bella età d’amore“) gefällt mit den lieblich getupften Tönen. Für die Calipso setzt Andrea Lauren Brown eine gleichfalls gepflegte Stimme ein, die in der Arie „Amore è un Nume“ im 2. Akt Contessa-Töne vernehmen lässt und im Finale mit „Furie spietate“ ihre Unsterblichkeit verflucht. Mit einem Furor gleich der Elettra gelingen der Sängerin hier die stärksten Momente. Jaewon Yun als Nymphe Eucari äußert sich mit gebührend lieblichen Klängen; Katharina Ruckgaber als Sacerdote di Venere komplettiert mit beherzten Koloraturen das Sopran-Quartett.
Eine zentrale Partie des Werkes, Telemacos Freund Mentore, fällt dem Tenor zu. Hier ist es der in diesem Genre versierte Markus Schäfer, dessen Timbre freilich hin und wieder einen buffonesken Anflug nicht verhehlen kann. Das steht der Tito-nahen Figur, die sich im 1. Akt mit „Vivo ancor“ energisch auftrumpfend einführt, im Wege. Immerhin gelingt es dem Interpreten, das erste Finale zu dominieren und im 2. Akt sein von Bläsern martialisch eingeleitetes Solo „L’alloro guerriero“ mit Nachdruck zu formulieren. Nach der Mitwirkung in zwei mehrstimmigen Gesängen – einem Quartett und dem stürmischen Sextett im 2. Akt – ist der tiefsten Männerstimme der Besetzung, dem Sacerdote di Bacco, mit „Quell’orgogliosa fronte“ dann doch noch eine Arie zugeteilt. Niklas Mallmann singt sie mit energischem Zugriff in Figaro-Nähe.
Der Simon Mayr Chorus kann in der erregten Szene des 3. Aktes („Ah, che fai!“). die deutlich an die dramatisch aufgewühlte Situation in Idomeneo erinnert, Wohlklang und Expressivität vereinen. Mit den verzweifelten Einwürfen des Telemaco beweist Thornhill auch ihr dramatisches Potential. Mayrs Musik zwischen Mozart und Rossini ist zumeist leichtfüßig und von großem Liebreiz, hat aber durchaus ihre Sturm und Drang-Momente. Von heiterer Munterkeit gleich einem Menuett tönt der Ballo des 1., von transparenter Zartheit der des 2. Aktes. Eine Tempesta in der Tradition Rossinis lässt aufgewühlte Turbulenzen vernehmen. Hauk hat für all diese Stimmungen das richtige Gespür und erweitert seine Mayr-Serie um einen gewichtigen Baustein. Bernd Hoppe