Spärlich ist die Diskographie für Vincenzo Bellinis Il Pirata, seine dritte Oper und damit noch ein Frühwerk nicht ohne Schwächen, einmal nicht mit einem Sopran, sondern mit einem Tenor als Titelpartie und zwar einer, die den Interpreten vor fast unüberwindliche Probleme stellt. Sie wurde wie einige andere seiner Rollen vom Komponisten für die Stimme von Giovanni Battista Rubini, der als erster Bruststimme und Falsett in der Extremhöhe miteinander verband, geschrieben. Sammler haben natürlich viele Live-Aufnahmen, von der De Cavalieri bis zu Radvanovsky kürzlich, aber offiziell findet man nur diskutable Aufnahmen mit Callas, Caballè und Aliberti mit entsprechenden Verdiensten um das Werk. Aber die der Spanierin leidet unter dem Gatten als für den Hörer unzumutbaren Gualtiero, die der Griechin ist mit Pier Miranda Ferraro nicht besser bestückt, und die Italienerin, die das Werk in Berlin mit Marcello Viotti aufnahm, hat mit Stuart Neill einen zwar höhensicheren, aber eintönig klingenden Partner an der Seite. In den Achtzigern gab es in Martina Franca einen Pirata ebenfalls mit Aliberti, die den von Rodolfo Celletti und Alberto Zedda geförderten Tenor Giuseppe Morino zum Partner hatte, der frappierend höhensicher und dazu noch äußerst gestaltungsfreudig den Feinheiten der Partie nachspürend nachvollziehen ließ, wie die Partie bei der Uraufführung an der Scala geklungen haben könnte.
Für ihren durch eine eigene Firma namens Prima classics aufgenommenen Pirata hat die lettische Sopranistin Marina Rebeka sich den jungen Tenor Javier Camarena ausgesucht, der für die schwierige Partie das angemessene Belcanto-Timbre mitbringt, dazu eine klare Diktion der zwar nicht großen, aber durchdringenden Stimme, die auch in der Extremhöhe kaum an Präsenz verliert und bereits mit einem „A lei soltanto“ angenehm überrascht. Nur ganz leicht verhärtet sich die Stimme in den stratosphärischen Höhen von „Per te di vane lagrime“, die Verbindung von romantischer Melancholie und höhenverliebtem Virtuosentum gelingt, fast durchweg wird der Verlust von Farbe, die auch in der Mittellage besticht, vermieden, schön schmerzlich klingt „Cedo al destin“, und nur im Terzett klingt die Höhe etwas gequält. In „Tu vedrai la sventurata“ besticht der freie Fluss der vielbeschworenen unendlichen Melodie, der Ton wird in der Kadenz schön modelliert, eine interessante Variation erfreut den Hörer im da capo.
Für eine fragile Bellini-Heldin wie die Imogene hat Marina Rebeka eine etwas zu herb-derbe Stimme. Das zarte Nervenkostüm, das sie schließlich in den Wahnsinn führt, nimmt man ihr nicht so recht ab. Aus diesem Grund passen die beiden Stimmen auch nicht optimal zusammen. Aber die Sängerin zeigt sich als technisch sehr versiert, hochpräsent in den Rezitativen und farbig in der Mittellage. Im Terzett lässt die Rebeka ihren Sopran schön über den anderen Stimmen schweben, in „Col sorriso d’innocenza“ spinnt sie feine Tongirlanden, die Intervallsprünge nach unten wie bei „Oh! Sole,ti vela“ klingen recht gewaltsam, manches verwaschen wie „Taci, rimorsi“, und was will sie uns mit einem sehr zärtlichen „Ernesto“ sagen?
Dieser wird von Franco Vassallo mit viel Durchschlagskraft und guter Höhe gesungen, die Rezitative und „Tu m’apristsi in cor ferita“ klingen manchmal zu unkontrolliert grimmig, dem Belcanto scheint der Bariton fast schon entwachsen. Mehr als nur eine Stichwortgeberin ist die Adele von Sonia Fortunato mit geschmeidigem Mezzosopran, einen gestandenen Goffredo singt Antonio Di Matteo, unauffällig bleibt rollengemäß der Itulbo von Gustavo De Gennaro.
Der Chor der Bellini-Stadt Catania singt mit Enthusiasmus und viel Temperament, das Orchester des Teatro Massimo unter Fabrizio Maria Carminati ist natürlich in dieser Musik zuhause, erfreut gleich zu Beginn mit einer flüssigen Sinfonia, stellenweise nicht nur beschwingt, sondern geradezu fröhlich. Aber die endgültige Antwort auf die Frage: Welches ist „richtige“ Pirata-Aufnahme kann die hier vorliegende auch nicht geben (Prima Classic 010 3 CD, bei dieser Firma hat Marina Rebeka noch einige weitere Arienprogramme aufgenommen). Ingrid Wanja