Moniuszko und kein Ende

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Fabio Biondis unermüdlicher Einsatz für den polnischen Komponisten Moniuszko geht weiter. Seit Jahren setzt sich der Alte Musik-Spezialist im Rahmen des jährlichen Warschauer Chopin and his Europe– Festivals für den Vater der polnischen Nationaloper ein. Natürlich hat er bei dem Festival mit Aufführungen von Bellinis Norma und Capuleti e i Montecchi, Verdis Macbeth und Corsaro auch ein bisschen das musikalische Vorläufertum erkundet.

Doch seine vom Fryderyck Chopin Institute mit opulenten CD-Büchlein veröffentlichen Aufnahmen im markant roten Hardcover (1 CD NIFCCD 092) gelten selbstverständlich Moniuszko, wozu die italienische Fassung der Halka in der Übersetzung des Moniuszko-Freundes Giuseppe Achille Bonoldi gehören, der idyllische Einakter Der Flößer von 1858, die Hrabina (Die Gräfin) von 1860 sowie der Einakter Verbum nobile (Das Ehrenwort) von 1861. Im August 2022 kam es im Teatr Wielki zu einer Aufnahme eines Werkes, das selbst an Moniuszkos einstiger Wirkungsstätte eine Rarität darstellt: Widma, was so viel heißt wie Die Geister, eine rund einstündige Kantate für Solostimmen, gemischten Chor und Orchester, die auf einem der wichtigsten Dramen von Adam Mieckiewicz (1798-1855) basiert Dziady, der Totenfeier oder Ahnenfeier, die den „vorchristlichen (baltisch-slawischen), schon zur Zeit Mickiewiczs nicht mehr ausgeübten Brauch der Totenverehrung“ bezeichnet. Die vier Teile des Dramas erschienen in den 1820er und 30er Jahren bzw. der erste und unvollendet gebliebene Teil erst 1860. Moniuszko verwendete den zweiten Teil. In der dörflichen Allerseelen- oder Allerheiligenfeier, die mythische und religiöse Bilder und ein nationales Gefühl beschwört, treten der Priester Guślarz auf, ein Mädchen, ein alter Mann, ein Engel (gesungen von zwei Knaben), Eule und Rabe und verschiedene Stimmen/ Erscheinungen.

Inspiriert und angeregt zu dieser hybriden Mischung aus Gesang und Sprache, dramatischer Erzählung und Monodram wurde Moniuszko während seiner Ausbildung in Berlin zwischen 1837 und 1840 durch Carl Friedrich Rungenhagen, Direktor der Berliner Singakademie, der ihn vertraut machte mit den Oratorien von Bach und Händel. Beeindruckt zeigte sich Moniuszko von Mendelssohn-Bartholdys Paulus. Besonderen Einfluss hatte aber die künstlerisch ambitionierte Form der dramatischen Kante in der Art von La damnation de Faust, doch am stärksten war Moniuszko fasziniert von dem Orient-Reisenden und -Kenner Félicien David und seiner Ode-Symphonie Le désert (1844), die von Paris bis St. Petersburg und bereits im Jahr nach der Uraufführung auch in Warschau gefeiert wurde, wo Moniuszko das Werk schließlich 1870 dirigierte. Die Beschwörung der Geister und Ahnen, die in den heidnisch altslawischen Ritualen und im ländlich dörflichen Umfeld gegenwärtig sind, mischen sich in Widma mit christlichen Riten zu bildkräftigen Feiern, die schwer zu begreifen sind. Doch nach der langen Erklärung des Sprechers (der polnische Schauspiel-Star Andrzej Seweryn) gelingt es Fabio Biondi und den Europa Galante-Musikern in den drei Erscheinungen der Intrada eine sowohl notturne solenne wie ländlich feurige Atmosphäre zu erzeugen, eben den spezifischen sanft leuchtenden Moniuszko-Ton und seine national- und identitätstiftende Emphase.

Leider wird der musikalische Fluss immer wieder durch die erst ein Jahr nach dem Konzert aufgenommenen und in Ton und Lautstärke sich stark von den Sängern abhebenden Sprechern und Sprecherinnen gebremst, die sich dann aber auch teilweise wieder mit Wispern und Geräuschen, Gurren und Zwitschern hörspielmäßig gut ins Geschehen mischen; eindrucksvoll Danuta Stenka als alte Eule. Mit seinem hohen Bass, den er machtvoll in das Geschehen schleudert, gelingt es Krzysztof Baczyk das Geschehen zu bündeln und zu konzentrieren und die starke Figur des Guślarz mit seherischer Intensität auszustatten, auch wenn wir im englisch-polnischen Libretto nicht immer genau begreifen, um was es geht. Der junge polnische Bass ist auf jeden Fall eine Entdeckung.

Die Kantate besteht aus zwölf musikalisch sehr unterschiedlichen Teilen, mal geisterhaft beschwörend, dann wieder tänzerisch heiter und idyllisch, wie im Knaben-Gesang der beiden kleinen gen Himmel aufsteigenden Solo-Engel. Mit einer auftrumpfenden Arie greift Pawel Konik mit einem höhensicher geschärften Bariton als gespenstische Erscheinung ins Geschehen, schwelgend wie in einer italienischen Oper ist das von Natalia Rubis mit innigem Ausdruck gesungene junge Mädchen im Barkarole-Duettino mit Guślarz und Chor, während Paulina Boreczko und Roman Chumakin als Eule und Rabe Randgestalten bleiben. Wucht und Ausdruck prägen alle Einwürfe des Podlasie Opera and Philharmonic Choir, die damit die theatralische Qualität des 1865 uraufgeführten Werkes unterstreichen, das nach seit seiner Aufführung in Lemberg 1878 immer wieder szenisch aufgeführt wird. Rolf Fath