María aus Buenos Aires

 

In einer Live-Aufnahme aus dem Jahre 2016 legt Capriccio Astor Piazzollas Operita en dos partes María de Buenos Aires vor (C5305, 2 CD). Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Theater Bonn, dem Beethoven Orchester Bonn und den Deutschlandfunk Kultur. Dirigent ist Christoph Sprenger, der mehrere Jahre Kapellmeister an der Oper Bonn war und viele zeitgenössische Musikwerke interpretiert hat. Auch zu Piazzollas spezifischem Stil mit der Einbindung von Fuge und Toccata sowie dem südamerikanischen Tango hat er eine besondere Affinität, denn die Einspielung sprüht vor Vitalität, ist reich an Lokalkolorit und fängt die Atmosphäre des Geschehens bezwingend ein.

Die Handlung ist in Buenos Aires angesiedelt, wo ein Geist die Erscheinung und Stimme von María de Buenos Aires heraufbeschwört. María lebte für den Tango und die Liebe – obwohl sie ihren größten Verehrer, den träumenden Gorrión, stets abgewiesen hat. Ihr Weg führte durch Nachtlokale und zweifelhafte Cabarets schließlich in die Unterwelt. Sie stirbt, von Dieben und Hurenmüttern verflucht. Ihr Schatten soll ihre Schuld bis in die Ewigkeit mit sich herumtragen. Verloren irrt dieser durch die Stadt, wendet sich in seiner Verzweiflung an das Volk, die Trauer um ihn nicht aufzugeben. In einer Magischen Bar im 30. Stock eines Wolkenkratzers erzählt er verwirrt von Geburt, Sterben und Reinkarnation. Am Ende wird ein Mädchen geboren, das vielleicht wieder eine María sein wird.

Daniel Bonilla-Torres gibt den Geist, El Duende, mit prononciertem Sprechgesang. Er ist auch später noch in diversen Parts eingesetzt, es sind ausschließlich Stimmen (Voces), wo er seinen sinnlichen Stimmklang wirkungsvoll einsetzen kann – Stimmen von Männern, die aus dem Mysterium zurückgekehrt sind, von Alten Dieben, Hurenmüttern, Psychoanalytikern, Nudelwalzerinnen und Magischen Maurern. Diese Aufzählung zeugt von den Bizarrerien des Stückes, die auch die Sängerin der Titelrolle, Luciana Mancini, betreffen, denn sie interpretiert auch den Schatten Marías. In ihrem ersten Auftritt stellt sie in Vokalisen das tema de María vor. Die Stimme mit sinnlich lockendem Klang ist die einer Diseuse. In ihrem berühmten Canción, „Yo soy María“, kann sie mit üppigem, schwelgerischem Klang eine ganze Palette von Temperament, Erotik und Lebensgier zeigen. Ihr Thema kehrt auch in dem delikaten  Poema  valseado mit seinen träumerischen Walzeranklängen wieder. Als sombre di María, Marias Schatten, singt sie mit dunkel verschattetem  Ton. Und die letzte Nummer des Werkes wiederholt noch einmal ihr Thema. Dem dritten Mitwirkenden der Aufführung, Johannes Mertes, fallen gleichfalls mehrere Aufgaben zu – den Alten Anführer der Diebe, den Ersten Psychoanalytiker mit seinem Gassenhauer „Buenos Aires, Buenos Aires“, den Träumenden Gorrión sowie die Stimmen eines Gauchosängers und des Sonntags. Sein gleichermaßen klangvoller wie ausdrucksstarker latino-Tenor vermag all diesen Porträts eine prägnante Kontur zu verleihen. Die idiomatisch besetzte Aufnahme dürfte für alle aficionados der Musik Piazzollas un gran placer sein. Bernd Hoppe