Vermummte und Maskierte dringen des Nachts in den Schlafraum des Königs. Höhnisch präsentieren sie ihm seinen gequälten und vergewaltigten Geliebten in einem Brautkleid. Edward und Gaveston werden auf die Knie gezwungen, in einer pervertierten Hochzeitsszene mit einander vermählt und anschließend erstochen. Ein Engel bleibt zurück und streicht Edward über den Kopf, „Fürchte dich nicht!“. Ein Alptraum, aus dem der König hochschreckt und in die Arme seines Geliebten flüchtet. Die ebenfalls hinzueilende Gattin Isabella wird des Raums verwiesen, „In meinem Schlafzimmer hast du nichts zu suchen“. In den zehn Szenen, die Thomas Jonigk zu einem Libretto für den 46jährigen Andrea Lorenzo Scartazzini schrieb, nimmt der Alptraum das Ende vorweg, das mit der brutalen Schändung der beiden Männer endet. Als Aufgangspunkt dient Jonigk vor allem Christopher Marlowes Drama Edward II. mit seinem ausführlichen Titel The troublesome raigne and lamentable death of Edward the second, King of England and the tragical fall of proud Mortimer von 1593, das er auf die Beziehung Edwards zu Gaveston reduziert; der Fall des Mortimer wird nebenbei behandelt. Nach 20jähriger Herrschaft wurde Edward II. (1284-1327) im Januar seines Todesjahres zur Abdankung gezwungen und am 21. September 1327 und ermordet, „vermutlich, indem man eine glühende Eisenstange durch ein abgesägtes Kuhhorn in seinen After stieß“, wie die beiden Tourguides wissen, mit denen Jonigk vom 12. ins 21. Jahrhundert schwenkt, was auch die etwas gedrechselte und brave Sprache erklärt. Edwards Jungfreund Gaveston war bereits 1312 von rebellischen Adeligen, enthauptet worden. Die beiden Touristenführer wissen noch mehr, „Aufgrund seiner sexuellen Orientierung und der Diskriminierung und Kriminalisierung seine Person… ist er bis heute eine identitätsstiftende Figur der Homosexuellenbewegung sowie Inspiration für Historiker und Künstler“.
Na also, wer zuvor nicht gegoogelt hatte, wird aufgeklärt. Das ist so bemüht wie die ganze Oper. Edward, wie ihn Jonigk schildert, ist trotz des unglücklichen Lebens und brutalen Ende keine durchgehend sympathische Figur. Nichts lässt er unversucht, seine Umgebung – siehe seine Gattin – den Klerus und die Bevölkerung mit seiner offen zur Schau getragenen Liebe zu Gaveston zu brüskieren. Wie ein mittelalterliches Moritatenstück wird die Geschichte ohne Brüche und dramaturgische Wendungen abgehandelt. Ein gutes halbes Jahr nach der Berliner Uraufführung von Edward II. liegt die 90minütige, durchaus länger wirkende Oper, von Oehms Classics großzügig auf zwei CDs verteilt, auf Tonträger vor (OC 969 2 CDs).
Dieses handfest altmodische und etwas trockene Musiktheater, das an 60er Jahre-Opern erinnert, hat der Schweizer Andrea Lorenzo Scartazzini instrumental wundersam, mal robust, mal klangfein aufgemischt zwischen Alptraum und Gegenwart und Engelssphäre, zumeist handfest und gar nicht irgendwie ausgetüftelt und geklügelt. Singbares lastet auf den Schultern der Interpreten. Michael Nagy verfügt über ausreichend Präsenz, um selbst Isabellas Hinauswurf aus dem Schlafzimmer verführerisch klingen zu lassen – Isabella selbst ist mit ihren zerhackten, gläsern starren Koloraturen (ausgezeichnet: Agneta Eichenholz) die enttäuschte und rächende Ehefrau – und der sehnsüchtig singende Ladislav Elgr gibt den Gaveston mit Kultur. „Was für ein schönes Paar“ singt Jarrett Otts achtsamer Engel; ein bisschen etwas davon hätte man gerne gehört, etwa Leidenschaft. Es gibt ein für Komik zuständiges Paar à la Shakespeare, das Markus Brück und Gideon Poppe in unterschiedlichen Gestalten als Geistliche, Ledertrinen, Wärter und Guides übernehmen, Burkhard Ulrich ist prägnant als Bischof, Andrew Harris eigentlich farblos als Mortimer, Mattis van Hasselt niedlich als kleiner Edward („Mama, was heißt geil?“). Thomas Søondergard dirigiert Chor und Orchester der Deutschen Oper so hingebungsvoll, wie es eine Uraufführung fordert Rolf Fath