Italienische Lehrjahre

 

Im Innenhof des aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammenden Palazzo Ducale, in dem in der Ortsmitte Martina Francas alle wesentlichen Opernaufführungen des Festivals stattfinden, gab es 2017 und nun als Mitschnitte auf DVD (DYN-37802) und CD (2 CD, CDS780202) von Dynamic die vierte der italienischen Opern Giacomo Meyerbeers, die 1820 an der Mailänder Scala uraufgeführte Margherita d’ AnjouEs folgten noch zwei Jahre später, ebenfalls an der Scala, L’esule di Granata sowie 1824 in Venedig Il crociato in Egitto. Dann war das italienische Kapitel abgeschlossen. Meyerbeer hatte aber nicht nur seinen Vornamen zu Giacomo italienisiert, sondern auch den entsprechenden italienischen Opernstil adaptiert. Magherita wirkt wie aus einer parallelen Rossini-Welt, auch ein wenig wie Pacini, doch ist diese in die Schublade des Melodramma semiserio gesteckte Oper ein merkwürdig hybrides Werk, was der zur Verfügung gestandenen Besetzung geschuldet ist. Meyerbeer musste neben dem soprano leggiero und dem männlichen Protagonisten vom Typ Rossini-Tenor, eine in Hosenrollen erfahrene Altistin sowie drei Bässe, darunter einen Buffo, unterbringen, wodurch sich komische Elemente in die ernste Geschichte der Margherita d’Anjou, der Witwe Heinrich VI., schleichen, die in den Rosenkriegen Macht und Thron und ihr Leben sowie das ihres Sohnes zu behalten versucht. Das Rondo-Finale gehört, ganz und gar unüblich, der zweiten Sängerin, Isaura, die nahezu während der gesamten Oper in Männerkleidern auftritt, da sie dem mit ihr heimlich vermählten Edoardo de Lavarenne nachreist. Großmütig verzichtet die Königin auf ihre Liebe zu Edoardo und gibt den Weg für Edoardo und Isaura frei. Es ist Mitternacht, wenn Isaura ihr  Rondo singt, das wie ein mit immer neunen Leuchtfontänen aufwartendes Koloraturfeuerwerk die Oper überstrahlt, und wie Cenerentola jubilieren darf. Endlich angetan mit einem netten kleinen Weißen und zierlichem Hütchen.

Nicht nachvollziehbar, wie Alessandro Talevi auf die, schlicht gesagt, törichte Idee verfiel, die von Felice Romani lose zusammengeschnürten historischen Fakten und die bunte Liebeshandlung der im 15. Jahrhundert spielenden Ereignisse auf die von Meryl Streep verkörperte Miranda Priestley in Der Teufel trägt Prada und die von Frauen wie Anna Winfour regierte Welt der Laufstege und internationalen Mode-Wochen zu übertragen. Erstens hat die von Margherita verteidigte Welt nichts mit der Kunstwelt der Mode zu tun, zweitens ist Talevis Umsetzung viel zu banal und vordergründig, zu provinziell und kleinkariert, um den dramatischen Konstellationen zu entsprechen. Sie bietet die entsprechenden Bilder hinter den Kulissen der Modeschauen mit hektisch wuselndem Personal, 90er-Jahre Mode, Punks mit roten und blauen Haarkämmen und Schottenröcken. Die Inszenierung wurde gleichermaßen bejubelt wie ausgebuht. Im zweiten Teil hält sich Margherita in ihrer französischen Heimat auf. Das Wellness-Resort, in dem sich alle in weißen Frotteemänteln den Beauty-Behandlungen und der Entschleunigung hingeben, wirkt wie ein Zitat von Dews Berliner Hugenotten und dem „Beau Pays de la Touraine“ am Swimmingpool, doch scheint mir Talevis Umsetzung ungleich flachbrüstiger.

Musikalisch befindet sich Meyerbeer auf der Höhe der Zeit, bringt dem eineinhalbstündigen ersten Akt in nur fünf Nummern unter, was zu breiten Blöcken führt, wobei Margheritas Cavatina, Cabaletta und Stretta in ein umfangreiches Chor- und Ensemblestatement eingebettet ist. Doch die ariose Szene bleibt immer noch das A und O der Partitur. Dazu gehören neben ihrer Auftrittsszene auch Szene und Arie der Margherita zu Beginn des zweiten Akts, wovon vor allem die vom Cellosolo getragene zweite Szene Giulia De Blasis mit leichtem Triller gut gelingt. Ihr lyrischer Ziersopran hat in der Vollhöhe seine Grenzen, bleibt ein wenig leicht und bleich, wie denn die ausstrahlungsarme De Blasis sowieso keinen Gedanken an Streep oder Winfour aufkommen lässt. Anton Rositskiy, aus dem Frankfurter Iwan Sussanin als Sobinin in guter Erinnerung, singt die anspruchsvolle Partie des Duca de Lavarenne, bei der Rossini, Bellini und Donizetti in der dreiteiligen Arie „E riposta in quest accenti“, deren Abschnitte abwechselnd von Trompeteten, Cello und Holzbläsern begeleitet werden, alle Tenorhürden auf einmal aufgestellt zu haben scheinen, trotz einiger Quetscher in der extremen Höhe mit Überzeugungskraft, schöner Phrasierung und Elan, und seine Cavatine im zweiten Teil trägt er mit Anmut vor. Eigentlich hätte ihm der Schluss gehört, denn für das Final-Rondo ist Gaia Petrones dumpfer Mezzosopran einfach zu unbedeutend (das war in Leipzig 2005 immerhin die junge Marina Prudenskaja). Das Terzett der drei Bässe Michele, Glocester und Carlo ist reinster Plappergesang alter Schule, in dem der Buffo Marco Filippo Romano mit kundigem Rossini-Stil, Bühnenpräsenz und einem gut sitzenden, natürlich strömendem Bass als Modeschwuchtel Michele Gamautte hervorsticht. An Präsenz, nur ein wenig an Stimmfülle, steht ihm Laurence Meikles spielfreudiger Carlo Belmonte, der einst von der Königin verstoßen wurde und sich auf die Seite Glocesters geschlagen hat, kaum nach, Bastian Thomas Kohl ist ein unauffälliger Bass. Fabio Luisi leitet den etwas uneinigen Chor aus Piacenza und das Orchestra Internazionale d’ Italia mit gediegener Spielkultur, ohne dem Werk einen spezifischen Charakter zu verleihen (Foto oben: Meyerbeers „Margherita d´Anjou“ beim Festival della Valle d`Itria in Martina Franca 2017/ Szene/ Foto Festival della Valle d`Itria/ Paolo Conserva). Rolf Fath