Indisches Pasticcio

 

 Mittlerweile ist die französische Firma naïve in ihrer verdienstvollen Vivaldi-Edition bei Vol. 64 angelangt. Davon widmen sich allein zwanzig Ausgaben den opere teatrali. Die neueste Veröffentlichung – das Opera pasticcio Argippo – ist wieder eine veritable Rarität und Premiere auf dem Musikmarkt (OP 7079, 2 CDs). Die Aufnahme entstand im Oktober des vergangenen Jahres in Mondovi/Italien, fußt auf der Edizione critica von Bernardo Ticci und ist die erste Einspielung in moderner Zeit des 2011 in Darmstadt wieder entdeckten Manuskriptes. Erneut ist Fabio Biondi mit seinem1990 gegründeten Ensemble Europa Galante am Werk und sorgt für ein frisches, Affekt betontes Musizieren, das schon in der pulsierenden Sinfonia zu vernehmen ist. Denn die Musik ist reich an Emotionen – seien sie nun heftig und ungestüm oder zärtlich und galant.

Vivaldis dreiaktige Oper, ein Beitrag zur Mode der Zeit, indische Sitten und Gebräuche auf der Bühne darzustellen, wurde 1730 im Wiener Theater am Kärntner Tor und im Prager Sporkschen Theater aufgeführt. Von den beiden Aufführungen haben sich nur die Libretti und eine Sammlung von Arien erhalten. Wieder gefunden wurden sie in Darmstadt nebst der Partitur einer vollständigen anonymen Oper, einem Pasticcio mit einem Dutzend Arien anderer Komponisten. Sie stammen von Pescetti, Hasse, Porpora, Galeazzi, Fiorè und Vinci.

Die Handlung kreist um Zanaida, Tochter des Großmoguls Tisifaro, die vom Neffen des Königs, Silvero, in der Nacht verführt wurde. Dieser liebt Zanaida und hatte sich als Argippo, König von Cingone, ausgegeben, der mit Osira verheiratet ist. Der Schuldige an Zanaidas Schande soll laut Tisifaro zur Strafe seine eigene Frau töten und Zanaida heiraten. Osira will für ihren Gatten sterben, doch Silvero gesteht seine Tat. Tisifaro verzeiht, so dass am Ende Argippo und Osira wieder vereint sind und Silvero Zanaida heiraten kann.

In de Besetzung sind gestandene und neue Barock-Interpreten vereint. Die Sängerin der Osira beispielsweise, die Sopranistin Marie Lys, ist erst seit kurzem bekannt, nachdem sie mehrere Gesangswettbewerbe gewonnen hatte. Ihr Entree, „Qual disarmata nave“, weist sie als beherzte Interpretin aus, die die Schönheit des Tones zugunsten des Ausdrucks auch zurückstellen kann. Ihre Arie im 2. Akt aus der Feder Porporas, „ Bell’ idolo amato“, aber ist ein Musterbeispiel an barocker Stimmpracht und Klangrede. Besonders delikat klingt der Sopran in der bewegten Arie „Un certo non so che“ und auch die von Pescetti stammende Arie „Mi sento nel core“ lässt die Stimme sich in schönster Harmonie entfalten. Von tiefer Empfindung erfüllt ist „Vado a morir per te“ aus der Feder Fiorès. Mit „Che farai“ fällt ihr das letzte Solo zu, das ihre Souveränität in der exponierten Lage ausstellt. Die ungarische Sopranistin Emöke Barath, der die Titelrolle anvertraut wurde, hat sich gleichfalls erst vor wenigen Jahren einen Platz in der internationalen Spitzenriege gesichert. Die stürmische Auftrittsarie, „Anche in mezzo a perigliosa“, stammt von Galeazzi und gibt der Interpretin Gelegenheit, wilde Koloraturen und Spitzentöne von großem Effekt herauszuschleudern. Rasend ertönt die gleichfalls von Galeazzi stammende Arie „ Da più venti combattutta“, die der Sängerin Gelegenheit zu bravourösen  Koloraturgirlanden bietet. Kontrastierend dazu ist der sanft wiegende Duktus von Pescettis  „Vi sarà stella clemente“.

Marianna Pizzolato zählt seit vielen Jahren zur ersten Garde im Belcanto- und Barock-Repertoire. Ihr Silvero führt sich mit der Arie „Del fallire il rimorso è la pena“ ein, in welcher die Sängerin einen energisch-substanzreichen Ton hören lässt. In der Arie im 2. Akt, „Non temer“, klingt sie rund und in den reichen Koloraturpassagen absolut souverän. Sehr schnell gelang es der französischen Altistin Delphine Galou, sich im barocken Genre zu etablieren und an den großen internationalen Häusern zu reüssieren. Ihre Zanaida sorgt schon in der fulminanten Auftrittsarie „ Se lento ancora il fulmine“ für großen Eindruck dank ihrer rasanten Tongebung und dem vehementen Ausdruck. Auch die Arie im 2. Akt, „Io son rea“, ist von stürmischem Duktus und weist Galou als kompetente Interpretin von dramatischen Situationen aus.

Der Bassist Luigi De Donato, auch er eine Größe im Barockfach, komplettiert die Besetzung als Tisifaro und bringt kontrastierende tiefe Töne von wunderbar resonantem Klang ein. Seine erste Arie, „Rege son che combattuto“, stammt wahrscheinlich von Galeazzi aus dem Jahre 1731. Sein „ Dov’è la morte“ komponierte dagegen Pescetti. „A’ piedi miei svenato“ im 2. Akt wird aber wirklich Vivaldi zugeschrieben. Der Chor „Se d’inganno amor si pasce“ vereint am Ende alle Interpreten in einem feierlichen Gesang. Bernd Hoppe