I am Queen

 

Ein schönes Foto mit zwei alten Damen: Lange musste die 90jährige Thea Musgrave warten, bis sie von der zwei Jahre älteren britischen Königin Elisabeth II. vor wenigen Wochen als 13. Empfängerin mit der Queens Medal for Music als CBE ausgezeichnet wurde. Obwohl Musgrave seit den 1970er Jahren in den USA lebt, würdigt die Auszeichnung den Einfluss der schottischen Komponistin auf die britische Musik. Das Schaffen der Schülerin von Hans Gál, die auch von der unermüdlich lehrenden Nadia Boulanger ausgebildet wurde, umfasst alle Gattungen, darunter mit rund zehn Werken auch die Oper. Die Queen dürfte sich vermutlich kaum über Musgraves bekannteste Oper, den gut zweistündigen Dreiakter Mary, Queen of Scots, also über jene Maria Stuarda, die schon Donizetti begeisterte, informiert haben.

Als Auftragswerk der Scottish Opera wurde Mary Queen of Scots – quasi ein Nachfolgestück von Brittens Krönungsoper Gloriana von 1953 – unter der Leitung der Komponistin im September 1977 beim Edinburgh Festival mit anständigem Erfolg uraufgeführt. Die Produktion gelangte in verschiedene britische Städte, 1978 auch nach Stuttgart (1984 erfolgte dann mit Christine Weidinger in Bielefeld die deutschsprachige Erstaufführung), bereits 1978 war es zu der von Musgraves Ehemann Peter Mark dirigierten amerikanischen Erstaufführung an der von ihm geleiteten Virginia Opera gekommen.

Die Aufnahme vom 2. April 1978 (2 CD Lyrita SRCD 2369, engl. Textheft und Libretto) ist auch eines der wenigen Dokumente der Sopranistin Ashley Putnam, die 1976 die Metropolitan Opera National Council Auditions gewonnen hatte und als Mozart- und Strauss-Sängerin Karriere machte. Mit dem jugendfrischen Perlmuttglanz ihres lyrischen Soprans ist sie die rechte Besetzung für die zu Beginn der Oper 19jährige Königin, die sich im politischen Spinnengewebe verfängt und im zweiten Akt in ihrer großen Konfrontation mit James, welche Musgrave mit flatternden Solostimmen des Orchesters beschreibt, auch weibliche Verführung einsetzt. Nur in den rezitativischen Teilen, dem Graubrot der Partitur, auch in der agressiven Auseinandersetzung mit James, ist die Stimme nicht auf der Höhe der Stuation, wirkt dann leicht scharf und strapaziert, während es ihr am Ende des zweiten Akts gelingt, das Ensemble zu dominieren und die Macht an sich zu reißen, “I will rule alone. I am Queen. That ist my heritage. That is my right”. Bestens dagegen die intimen Momente, wie das Schlaflied zu Beginn des dritten Aktes (“Sleep little child, sleep, sleep, till you wake to be King”). Jake Gardner ist ihr ein ebenbürtiger Partner und liefert mit harschem Bariton ein packendes Porträt des James.

Mary, Queen of Scots ist bestes Handwerk. Da stimmt alles. Das von Musgrave nach einer Idee der Portugiesin Amalia Alida Elguera entworfene Libretto, die Situationen und Konflikte, die Verbindung von Musik und Text, großen Bildern und intimen Momenten, Mönchsgesängen („Introibo ad attare Dei“ zu Beginn) und Festsaal-Gepränge, Ekstase und Resignation. Aber eben Handwerk. Über große Strecken ist es eine musikalische Illustration des Textes mit Trommelwirbel, Fanfaren und Schlachtgetümmel, die sich beeilen muss, die komplizierte Geschichte der Mary, die erst sechs Tage alt war, als sie ihrem Vater James V. auf dem Thron nachfolgte, und nach 18jähriger Haft 1587 hingerichtet wurde, in Ausschnitten zu erzählen. Musgrave konzentriert sich auf die Jahre 1561 bis 1568, als die 19jährige nach dem Tod ihres Gatten, Franz II. von Frankreich, aus Frankreich nach Schottland heimkehrt, um ihr Erbe anzutreten. Es ist auch ein eminent politisches Fintenspiel mit ihrem Halbbruder James, Vertrauten und Beratern, die eigene und feindliche Interessen vertreten. Der Palast von Holyrood hat Ohren. Überall lauern Verschwörung und Fallstricke, dazu die unglückliche Hochzeit mit dem katholischen Lord Darnley, die Beziehung zu dem italienischen Musiker Riccio, den sie zu ihrem Sekretär macht, die Vergewaltigung durch Bothwell, nach der sie sich als Herrscherin nicht mehr halten kann. Darnely, der Riccio tötete, wird von James, James von Gordon ermordet. Mary flieht nach England, ihr Sohn wird als König ausgerufen.

Das liest sich möglicherweise spannender, als es sich auf den CDs anhört, es ruft nach einer Produktion im Stil von The Tudors statt nach Hausmannskost. Musgrave montiert Renaissancemusik und andere Zitate in ihre Oper, darunter im 2. Akt den Orpheus-Gesang des Riccio (der herbe Bass-Bariton Kenneth Bell), die für ein reiches historisches Fluidum sorgen. Diese Szene mündet nach der Ermordung des Riccio durch Damley (Jon Garrison zeigt mit seinem kräftigen Charaktertenor die Zerbrochenheit der Figur) in eines der ausdrucksvollsten Bilder der Oper, welches wie die folgende Konzilszene, Musgrave als Musikdramatikerin ausweist. Barry Busse hat den farblosen dumpfen Charaktertenor für den schmierigen Bothwell. Die kontrastierenden Situationen arbeiten Mark und Chorus and Orchestra der Virgina Opera und die hilfreichen Nebenrollen-Sänger gut heraus. Seit den 1980er Jahren ist es sehr ruhig um diese Königin geworden. Rolf Fath