Die Probleme des Komponisten Fritz trieben Franz Schreker, der wenige Jahre nach der Uraufführung von Der ferne Klang als einziger legitimer Nachfahre Wagners gehandelt wurde, nicht um. Es scheint, als habe er diesen Klang, der ihm treu blieb, bis er aufgrund der Diffamierung seiner Werke durch die Nationalsozialisten und die Vertreibung aus seinen Ämtern 1933 in Vergessenheit geriet, schnell gefunden. Der Komponist Fritz reißt sich von seiner Geliebten Grete los, denn „Ein hohes, hehres Zeil schwebt mir vor Augen, doch frei muss ich sein“. Er wird nicht Ruhe finden, „Eh ich ihn nicht habe und halte, den rätselhafte weltfernen Klang“ und „Künstler von Gottes Gnaden“ bin. Dann will er zu Grete zurückkehren. Grete, die bezeichnenderweise Graumann heißt, entflieht, nachdem sie der trunksüchtige Vater im Spiel an den Wirt verlor, ebenfalls der Enge des Elternhauses hat und steigt, verführt von einer geheimnisvollen Alten, zur Edelkurtisane in einem venezianischen Bordell auf. Dort trifft zehn Jahre später der erfolglose Fritz neuerlich auf sie und stößt sie von sich. Nochmals fünf Jahre später: Greta ist zur gewöhnlichen Dirne verkommen und besucht die Premiere der neuesten Oper von Fritz Die Harfe, die sie wegen eines Schwächeanfalls vorzeitig verlässt. Die Oper fällt durch. Fritz erhält die Möglichkeit, den letzten Akt zu überarbeiten, fühlt sich aber zu schwach und begreift im Gedanken an Grete, die er im Zuschauerraum erkannt hat, dass er sie wegen seines Ehrgeizes verließ und warum, er „das Glück nicht besingen kann“. Er vernimmt den „fernen Klang“ und fühlt sich stark genug, seine Oper neu zu gestalten. Greta findet zu ihm und will bei ihm bleiben. Er stirbt in ihren Armen.
Franz Schrekers erster Bühnenerfolg, der in den 1910er und 20er Jahren prominent besetzt und viel gespielt wurde, kehrte im März 2019 an die Frankfurter Oper zurück (Oehms Classics 3 CDs OC 980/ Vertrieb NAXOS), wo er 1912 seine Uraufführung erlebt hatte. Im Zuge der in den 1970er Jahre einsetzenden Schreker-Renaissance trug 1984 eine faszinierende Inszenierung am Ort der Handlung, in Venedig, in der ich die schillernde Sylvia Sass als leuchtenden Stern der venezianischen Halbwelt erlebt habe, wesentlich zur Neuentdeckung des Fernen Klangs bei. Sebastian Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester, die andeuten, warum Dirigenten wie Bruno Walter, Fritz Reiner, Otto Klemperer, Erich Kleiber und Alexander Zemlinsky von dieser Musik angetan waren, umkreisen den fernen Klang, auf dessen Suche sich alle Komponisten des anbrechenden Jahrhunderts machten, in oszillierenden, sowohl impressionistisch durchlässigen wie spätromantisch gebremsten Klängen, die im Vogelkonzert-Zwischenspiel des dritten Aktes zum sinnlichen Stimmungsbild geraten. Die Faszination, welche die Oper einst ausstrahlte, stellt sich nicht ein. Die eigentliche Hauptfigur dieses Künstler- und Dirnendramas ist nicht, wie man meinen könnte, Fritz, sondern Greta. Im ersten Akt ist Jennifer Holloway eine patente Greta, ohne der Figur ein Gesicht zu geben. Daneben verschafft sich die Alte, trotz der Blessuren, die Nadine Secundes Sopran davongetragen hat, mehr Aufmerksamkeit. Bei seinem Europa-Debüt zeigt der Amerikaner Ian Koziara in der großen, mit fiebriger Intensität gesteigerten Szene im zweiten Akt „Schuldbeladen und reuig steh‘ ich vor dir“ einen strapazierfähigen, in der Höhe begrenzten Tenor und vermittelt vor allem in den introspektiven Momenten des dritten Aktes die Zerrissenheit des auf der Suche nach musikalischer Originalität scheiternden Fritz. Im Mittelakt gewinnt auch Holloways Sopran Wärme und Farbigkeit, souverän reizt sie die Dimensionen der Partie aus, singt im dritten Akt genau und auffallend textdeutlich. Die richtige Partie scheint die Greta dennoch nicht für sie zu sein. Zum Konkurrenten von Fritz wird der melancholische Graf, mit dem Greta aus Venedig aufbricht und dessen Ballade von der glühenden Krone Gordon Bintner mit aufrichtigem Gefühl singt, während das von Theo Lebow als Chevalier effektvoll vorgetragene Lied über das Blumenmädchen von Sorrent tenoraler Zierrat für das klanglich bunt montierte Freudenfest in der Casa di Maschere ist. Aus dem breit aufgestellten Ensemble ragt der prächtige Bariton von Jurii Samoilov als Schmierenschauspieler hervor, dazu die markanten Episoden von Dietrich Volle als Dr. Vigelius und Sebastian Geyer als Fritz‘ Freund Rudolf. R.F.