Hier kommt alles zu allem

Es ist wie mit der BILD. Keiner kauft sie, doch jeder kennt sie. Man findet sie in den Schütten der Buchhandlungen, in Ramschecken und vor Kaufhäusern. Die billigen 10-CD-Boxen werden mit spitzen Fingern angefasst. Und doch gekauft. Der Preis macht’s. Die meisten Titel kennt der Sammler, aber es gibt immer eine CD oder ein Fundstück, derentwegen man zugreift. Also kein Naserümpfen, obwohl die Strauss-Box sicherlich merkwürdig zusammengestellt ist, nicht Fisch nicht Fleisch, also keine reine Opernbox und keine Ausgabe der Orchesterwerke und der Kammermusik, was unter Einbeziehung der Orchestersuiten und des Oboenkonzerts, der Metamorphosen oder Josephslegende mühelos machbar gewesen wäre. Hier kommt, um mit Hofmannsthal zu sprechen, alles zu allem, womit niemandem gedient ist, d.h. es gibt Der Rosenkavalier unter Herbert von Karajan mit Schwarzkopf, die auch mit den Vier letzten Liedern  (1953) vertreten ist, zusammen mit Lied-Aufnahmen mit Christa Ludwig und Peter Anders und zwei Arabella-Ausschnitten mit Lisa Della Casa (alternierende unter Georg Solti und Joseph Keilberth). Die restlichen sechs CDs enthalten die Tondichtungen. Es fehlen Aus Italien, die Sinfonia domestica, von den Hornkonzerten wurde nur das erste Es-Dur op. 11 ausgewählt, allerdings findet man die Burleske mit dem hochvirtuosen Friedrich Gulda. Ebenfalls die Anschaffung wert ist die Violinsonate mit der begnadeten Ginette Neveu (1939). Auch wenn in diesem Bereich die Kempe-Aufnahmen mit den Dresdnern aus den frühen 1970er Jahren die Referenz bleiben, handelt es sich bei Eine Alpensinfonie unter Karl Böhm, natürlich dem Don Quixote unter Clemens Krauss, Till Eulenspiegel, Don Juan und Tod und Verklärung unter George Szell und dem Hornkonzert unter Wolfgang Sawallisch um ausgezeichnete Strauss-Einspielungen. Gut auch, dass der langsam in Vergessenheit geratene begnadete Strauss-Dirigent Fritz Reiner dabei ist (Ein Heldenleben gehört zu den besten Aufnahmen des Werkes). Aus dieser Reihe der 50er Jahre-Aufnahmen fällt Also sprach Zarathustra mit Charles Mackerras von 1993 heraus.

weill membranKeine Strauss-Hofmannsthal-Box, was schön gewesen wäre, dafür eine Brecht-Weill-Box. Sie enthält weitgehend die ab 1927 entstandenen Ergebnisse der Zusammenarbeit von Kurt Weill mit dem zwei Jahre älteren Dichter, also Die Dreigroschenoper und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – beide in den maßstäblichen Aufnahmen der Philips unter Wilhelm Brückner-Rüggeberg, die damit Plattengeschichte machte, wobei ich vor allem Mahagonny (mit Lenya, Litz, Günter, Markworth) ganz großartig finde – dann Der Jasager, das Musical Happy End und das gesungene Ballett Die sieben Todsünden (beide ebenfalls unter Brückner-Rüggeberg mit Lenya). Außerdem enthält die Ausgabe den nahezu völlig verwandelten „amerikanischen Weilll“ u.a. mit dem Musical Lady in the Dark (mit dem Text von Ira Gershwin) und die „American Folk Opera“ Down in the Valley (Text von Arnold Sundgaard, der auch auf der Vorderseite von CD 9 genannt wird, wo er nichts zu suchen hat). Interessant die kleinen Schnipsel auf CD 9, die ich gleich mehrfach hörte, neben den 1930 entstandenen Dreigroschenoper-Aufschnitten unter Otto Klemperer vor allem die amerikanischen Aufnahmen unter Maurice Abranavel, darunter die Szenen aus One Touch of Venus mit den Stars der Uraufführung, der September Song in alternativen Aufnahmen mit Walter Huston, der das Musical Knickerbocker Holiday am Broadway kreiert hatte, und Sinatra, durch den der Song später in immer neuen Arrangements international berühmt wurde. Bemerkenswert auf CD 1: Theo Mackeben leitete zwei Jahre nach der von ihm dirigierten UA der Dreigroschenoper eine Einspielung, Brecht singt Die Moritat von Mackie Messer sowie Der Mensch lebt durch den Kopf und eine sehr zerbrechlich wirkende Lenya singt 1943 sechs Lieder mit Weill am Klavier.

Rolf Fath

 

Richard Strauss: 10 CD the intense media 600126; Bert Brecht – Kurt Weill: 10 CD the intense media 600124