Heldin mit schlankem Pathos

 

Ein „Ersatzwunder“ sei diese CD-Aufnahme, heißt es im Begleittext zu der Pentatone-Aufnahme des Fidelio (2 CD PTC 5186 880). Nach der Corona bedingten Absage des Livekonzertes im Frühjahr 2020 mit der Dresdner Philharmonie fanden sich Marek Janowski und alle Mitwirkenden schließlich doch noch zwei Monate später in Dresden ein, um die Oper bei Wahrung der Abstandregelungen unter Studiobedingungen aufzunehmen; die später hinzugefügten Chorpassagen sind bei Studioaufnahmen keine Ausnahme. Unter zeitgeschichtlich aufgewühlten Voraussetzungen, aber dennoch in einer Ausnahmesituation, fand im November 1989 eine andere Dresdner Fidelio-Einspielung statt, als Bernard Haitink die Staatskapelle für das damalige Philips-Label dirigierte. Für die Ouvertüre benötigt der durchgehend flott dirigierende und auf ein hurtiges Vorandrängen achtende Janowski, der für Pentatone bereits den Freischütz, Hänsel und Gretel, Cavalleria rusticana und die Missa Solemnis aufgenommen hat, fast die identische Zeit wie Haitink. Während Haitink dem Drama Tiefe und Dringlichkeit verleiht, scheint Janowski bei allem Schwung und Energie, teilweise auch theatralischer Brisanz, mit den sauber artikulierenden Dresdner Philharmonikern doch nicht einen ähnlich packenden Gesamteindruck zu erreichen. Erst in der Kerkerszene fallen Studiosteifheit und Distanziertheit ab. Insbesondere die anfänglichen Singspielszenen huschen fast ein wenig gehetzt vorüber, wobei sich Christina Landshammer als Marzelline und Cornel Frey als Jaquino mit ihrem kecken Gezänk souverän behaupten. Von dieser Lustspielschablone löst sich Georg Zeppenfelds gar nicht biedersinniger, fast nobler Rocco. Die Sprechtexte, von Katharina Wagner (und Daniel Weber) behutsam gekürzt, wirken allerdings der Raumwirkung nicht richtig integriert, wie Leonores gewispertes „Ich habe Mut und Stärke“, das nicht auf Lise Davidsens großartige Leistung vorausweist, auch ihr Sprechtext im Anschluss an „Abscheulicher! Wo eilst du hin?“ gerät mehr als verhalten. Davidsen singt mit schlankem Pathos, mit Leidenschaft und Gefühl, man merkt, dass ihr die Partie, die sie kurz zuvor in London gesungen hatte, gut liegt, die Mittellage ist reich und ausdrucksvoll, die Höhe leicht und dennoch rund, die verhaltenen Passagen besitzen Gewicht und Intensität und die Koloraturen sind sicher. Sie hätte einen ebenbürtigen Partner verdient, was im Duett spürbar wird, wo dieser neben Davidsens Jubeltönen kaum eine Chance hat, wenngleich Christian Elsner, immerhin rund zwanzig Jahre älter als seine Leonore, mit mittlerweile spröder Stimme den Florestan mehr als achtbar und mit lyrischer Emphase singt. Ein bezwingendes, mit dieser Wucht nicht erwartetes Charakterporträt kreiert Johannes Martin Kränzle als Pizarro; als einzigem gelingt es ihm, den Sprechtext als Vorbereitung zu seiner Arie („Ha! Ha! Ha! Welch ein Augenblick!“ mit dem MDR-Rundfunkchor, während die weiteren Chorpassagen vom Sächsischen Staatsopernchor Dresden gesungen werden) quasi zwischen den Zähnen hervorzupressen und ohne vokale Übertreibungen und mit immer noch erstaunlich standfestem Bariton eine Szene zu dominieren. Luxuriös, wie es einer Studioaufnahme ansteht, die Besetzung des Don Fernando mit Günther Gröissböck. Es bleibt Davidsens Fidelio.  Rolf Fath

 

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