Hallenser Festspieldokument

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Prominent besetzt war eine Produktion von Händels Lotario bei den Händel-Festspielen Halle 2023, die NAXOS als  Live-Aufnahme jetzt auf zwei CDs herausgebracht hat (8.660570-71). Das Dramma per musica hatte seine Premiere 1729 am King´s Theatre in London und stellt in einer Handlung aus Rache und Heldentum die römische Königin Adelaide ins Zentrum. Ihr Mann wurde vom  italienischen König Berengario ermordet, der gemeinsam mit seiner Gattin Matilde erwartet, dass die Witwe beider Sohn Idelberto heiratet. Dieser liebt Adelaide tatsächlich, sie aber verweigert sich einer Verbindung mit ihm und fühlt sich dem deutschen König Lotario nahe. Mit ihm gibt es am Ende dann auch ein lieto fine. Die italienische Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli ist eine Spezialistin im Barockfach und regelmäßiger Gast bei internationalen Festivals der Alten Musik. Sie profiliert die Königin, die mit Anna Maria Strada del Pó von einer legendären Sängerin kreiert wurde, eindringlich, auch wenn sie im Auftritt bei „Quel cor che mi donasti“ zu heulenden Tönen neigt. Aber am Ende des 1. Aktes hat sie in „Scherza in mar“ Gelegenheit, ihre Virtuosität mit jagenden Koloraturgirlanden zu zeigen. „Menti eterne“ im 2. Akt lässt  dann wieder ihren Hang zur Larmoyanz hören.

Büste von Bernacchi
(Künstler unbekannt, 19. Jahrhundert,
Museo internazionale e biblioteca della musica von Bologna)/Wikipedia

In der Titelrolle, die bei der Uraufführung von dem renommierten Altkastraten Antonio Maria Bernacchi wahrgenommen wurde, ist mit Carlo Vistoli ein neuer Stern am Counter-Himmel zu hören. Nach seiner Aufnahme in William Christies Ensemble Le Jardin des Voix startete er eine bedeutende Karriere mit Gastspielen in Rom, Madrid, Wien, San Francisco und Monte-Carlo. Unvergesslich ist für mich sein Auftritt als Glucks Orfeo an der Berliner Komischen Oper 2022 in Michielettos streitbarer Inszenierung. Wie damals verströmt er sich auch in Halle mit seiner wunderbaren Stimme voller Kraft, Geschmeidigkeit und sinnlichem Reiz. Davon zeugt sogleich sein Auftritt, „Rammentati, cor mio“, mit schwärmerischem Klang und schmeichelnden Nuancen. Seine zweite Arie, „Già mi sembra al carro avvinto“, ist von energischem Duktus und Vistoli serviert sie mit gebotener Entschlossenheit. Hinreißend die zärtlichen Töne bei „Tiranna, ma bella“ zu Beginn des 2. Aktes, wie auch die träumerischen an dessen Ende bei „Non disperi peregrino“. Ein Paradebeispiel für die Kunst des Sängers ist die Arie „Vedrò più liete“ im 3. Akt, in der Bravour und Ausdruck eine perfekte Einheit bilden. Und mit Adelaide darf er das jubelnde Schlussduett „Sì, bel sembiante“ singen, in welchem sich beide Stimmen gebührend verblenden.

Als Berengario wirkt der polnische Tenor Krstian Adam mit. Mit „Grave è ´fasto di regnar“ und „Non pensi quell´altera“ fallen ihm die beiden ersten Arien des Werkes zu, in denen er seine klangvolle, kultivierte Stimme präsentieren kann. Den 2. Akt eröffnet er mit Regno e grandezza und beweist hier seine Flexibilität. Im 3. Akt hat er mit „Vi sento“ eine ergreifende Szene von schmerzlicher Intensität.

In der Partie seiner Gattin Matilde, die Händel für die auf Hosenrollen spezialisierte Alitstin Antonia Merighi schrieb, ist Anna Bonitatibus zu erleben, die im Jahr der Lotario-Produktion mit dem Händel-Preis der Stadt Halle ausgezeichnet wurde. Die italienische Mezzosopranistin setzt gleich in ihrem munteren Auftritt, „Vanne a colei che adori“, ein Achtungszeichen mit betörend schönem Klang und pointiertem Gesang. Reizvoll ist die Koketterie in „Orgogliosetto va l´augelletto“, stupend das rasante Tempo der Koloraturen in „Arma lo sguardo“.

Als Idelberto ist mit dem Polen Rafal Tomkiewicz ein weiterer Countertenor zu hören. Er beginnt noch vor dem Titelhelden mit weicher, sanfter Stimme, welche die Figur eines Sohnes perfekt imaginieren kann (Per salvarti, idol mio). Im 2. Akt hat er bei „Bella, non mi negar“ Gelegenheit für kosende und feine Spitzen-Töne. Die Besetzung komplettiert der südkoreanische Bass Ki-Hyun Park als Berengarios General Clodomiro. Mit seinen Arien „Se il mar promette calma“ und „Non t´inganni la speranza“ bringt er profunde tiefe Töne ein.

Das Händelfestspielorchester Halle auf historischen Instrumenten musiziert unter seinem Leiter Attilio Cremonesi, der der dramatisch orientierten Musik und ihrer  Virtuosität zu gebotener Wirkung verhilft. Schöne Akzente setzt er in der dreiteiligen Ouverture, der heroischen Sinfonia zu Beginn des 2. Aktes und jener, welche den 3. Akt einleitet.

Interessant ist der Vergleich mit der verfügbaren Aufnahme von 2004 bei der deutschen harmonia mundi unter Alan Curtis, wo keine Countertenöre mitwirken und die Partien des Loltario und Idelberto mit einem Mezzo und einem Alt besetzt sind. Barock-Liebhaber können also wählen, aber jeder der beiden Aufnahmen hat ihre Meriten. Bernd Hoppe