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Der Dirigent und Cembalist Christophe Rousset hält Lully für den bedeutendsten französischen Barockkomponisten und widmet sich seinem Oeuvre seit vielen Jahren. Jetzt legt das Label Château de VERSAILLES auf drei CDs (CVS 126) die Einspielung des Atys vor, die mit dem Dirigenten und seinem Ensemble Les Talens Lyriques im Juli 2023 in der Opéra Royal du Château de Versailles entstand. Die Tragédie mise en musique ist des Komponisten viertes von insgesamt elf Werken dieses Genres, uraufgeführt 1676 im Palast Ludwig XIV. in St Germain-en-Laye. Der Text stammt von Philippe Quinault, basierend auf Ovids Metamorphosen. Die Tragödie besteht aus einem Prolog, in dem König Ludwig XIV. als neuer Held gepriesen wird, und fünf Akten, die von der Liebe der Göttin Cybèle zu dem Jüngling Atys erzählen. Dieser verliebt sich zunächst in die Nymphe Sangaride, deren Hochzeit mit Atys´ Freund Celaenus, König von Phrygien, bevorsteht. In einer Traumszene gesteht Cybele Atys ihre Liebe, der sich aber für Sangaride entscheidet. Diese erklärt sich jedoch zur Hochzeit mit Célénus bereit, aber Atys unterbricht die Zeremonie und entschwindet mit der Braut. Aus Rache ruft Cybèle die Furie Alecton herbei, die Atys verhext, so dass er im Wahn Sangaride für ein Ungeheuer hält und ermordet. Wieder bei Sinnen, tötet er sich selbst und wird von Cybèle in einen Pinienbaum verwandelt. Ein ausgedehntes Divertissement als Trauerklage mit Nymphen, Priestern sowie Wasser- und Waldgöttern bildet den Schluss des Werkes.
Rousset ist für die Musik in ihrer Mischung aus Rezitativen, Airs, Chören und Divertissements der denkbar beste Anwalt. Die lautmalerischen Effekte der Komposition (Echos, Naturschilderungen, Albträume) malt er effektvoll aus, die starken Emotionen des Stückes gibt er mit packender Dramatik wieder. Sein Ensemble Les Talens Lyriques und der Choeur de chambre de Namur (Einstudierung: Thibault Lenaerts) sind exquisite Partner, die seine Vorgaben mit staunenswerter Perfektion umsetzen.
Eine illustre Sängerschar führt der haute-contre Reinoud Van Mechelen in der Titelpartie an, wo er vor allem seine lyrischen Qualitäten demonstrieren kann. Glänzend auch der Bariton Philippe Estèphe als sein Freund und König Célénus. Die Sopranistin Marie Lys als Sangaride singt betörend, Gwendoline Blondeel als ihre Vertraute Doris steht ihr in Idiomatik und vokaler Schönheit nicht nach. Die zentrale Rolle der Cybèle nimmt die Mezzosopranistin Ambroisine Bré wahr und macht ihre Interpretation zum Ereignis. Hier sorgt eine singende Darstellerin für den packenden Entwurf einer Figur – dank ihrer prägnanten Deklamation, der charaktervollen Stimme und der exquisiten Ornamentik.
Die Aufnahme ist ein würdiger Nachfolger von William Christies exemplarischer Aufnahme von 1987 bei harmonia mundi france (30.03.24). Bernd Hoppe