Erfreuliche Wiederbegegnung

Diese 1976 in Dresden entstandene erste Studio-Aufnahme der ersten von drei Fidelio-Fassungen hat bereits eine Odyssee auf verschiedenen Labels hinter sich. War die Leonore ursprünglich eine Co-Produktion zwischen Electrola und VEB Deutsche Schallplatte, tauchte sie in den 90er-Jahren auf dem Berlin Classics Label wieder auf, jetzt in der Brilliant Opera Collection (94868). Um es vorweg zu nehmen, es ist in jedem Fall erfreulich, diese Einspielung wieder im Katalog zu wissen. Seinerzeit von der Kritik nicht sehr freundlich behandelt, hat man in Zeiten sich in Quantensprüngen verschlechternder Gesangskultur einen sehr viel positiveren Eindruck von der Aufnahme. Diese erste Version des Fidelio von 1805 kann man durchaus als eigenständiges Werk ansehen. Sicher, vieles findet sich fast unverändert in der Fassung letzter Hand, aber die Partie des Florestan beispielsweise weicht vollständig von der endgültigen ab. Und so ist insgesamt alles ein wenig anders – und zumeist schwieriger.

Was Beethoven hier seiner Titelheldin stimmlich abverlangt, lässt interessante Rückschlüsse auf die sagenumwobene Anna Milder-Hauptmann zu, welche die Rolle in allen drei Uraufführungen kreierte. Die nicht unumstrittene Edda Moser singt sich hier förmlich die Seele aus dem Leib, gerät auch deutlich hörbar an ihre Grenzen, kann letztlich aber doch durch dramatische Präsenz und Intensität überzeugen. Die dreiaktige Fassung verändert die dramaturgische und musikalische Dramaturgie des uns bekannten Fidelio erheblich, der Sänger des Pizarro bestreitet das Finale des zweiten Aktes nahezu allein, und hat  in Theo Adam einen hervorragenden Interpreten, in den 70er-Jahren und auch noch später war er der Pizarro vom Dienst. Das gleiche gilt für Helen Donath, die als warm timbrierte Marzelline überzeugen kann, besonders im Duett mit Leonore, einer der später (leider) gestrichenen Gesangsnummern.

Richard Cassily findet nicht nur zu heldischen, sondern auch wärmeren lyrischen Tönen, ein Sänger der immer ein wenig unter Wert gehandelt wurde. Karl Ridderbuschs Rocco war seinerzeit eine Standardbesetzung, er singt kernig und ohne die in dieser Rolle häufig zu erlebende Altherren-Gemütlichkeit. Hermann Christian Polster als Minister und Eberhard Büchner als Jaquino sind unauffällig rollendeckend. Herbert Blomstedt, inzwischen zum Doyen der Beethoven-Dirigenten gereift, hat mit der Staatskapelle Dresden und dem Rundfunkchor Leipzig einen hervorragenden Apparat zur Verfügung, den er zu Höchstleistungen zu motivieren versteht .Eine insgesamt erfreuliche Wiederbegegnung!

Peter Sommeregger