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Müssen unsere Kinder und Enkel in dem Glauben aufwachsen, Aida sei eine Putzfrau, Scarpia ein SS-Scherge, Otello der Leiter eines Asylantenheims? Und müssen sie die Opernhelden für rechte Deppen und armselige Abhängige halten, weil il Moro sich am fazzoletto festkrallt, statt das Handy Desdemonas nach Verdächtigem zu überprüfen, Susanna auf eine Teilnahme an der Me-too-Bewegung verzichtet, Tristan und Isolde sich einen Schuss setzen müssen, um im Liebesrausch zu versinken? Wird es nie mehr eine wunderbare Renaissanceorgie wie in Ponnelles Rigoletto, einen Sonnenaufgang auf dem Castel San Angelo mit Kabaivanska, Domingo, Miles, nie mehr einen Lohengrin geben, dem weder das Image eines Demagogen noch das eines Impotenten anhaftet? Wenn selbst im traditionsverhafteten Italien „moderne“ Inszenierungen auftauchen wie nun der Rigoletto vom Maggio Musicale Fiorentino aus dem Jahre 2021, muss man wohl davon ausgehen und sich doppelt ärgern, weil es einen solchen im Milieu amerikanischer Gangster bereits vor Jahren gab.
Die Aufführung fand im Februar ohne Saalpublikum und mit Maskenträgern auf der Bühne und im Orchestergraben statt. Eine zweite Serie gab es im Oktober mit Publikum und Umbesetzungen in den drei Hauptpartien. „Follow your dreams“ lädt eine Inschrift auf grauem Mauerwerk ein, hinter dem Gangsterboss Duca seine Orgien feiert, im ersten Akt ein Maskenball, im Hintergrund ein Renaissancegemälde, immerhin. Gilda haust in einem Souterrain-Waschsalon mit acht riesigen Waschmaschinen, Bügelbrettern, Leute laufen vor den Fenstern auf und ab, so wie später Züge hinter der Luxus-Bar von Sparafucile hin- und herfahren. Es wird ein ungeheurer Aufwand mit einer so üppigen wie trostlosen Szene (Gianluca Falaschi) getrieben, und es wird reichlich mit Pistolen herumgefuchtelt, der Duca führt sich damit auch gleich einmal bei Giovanna ein. Dem Übernaturalistischen steht dann am Schluss unverhofft und reichlich unpassend Metaphysisches entgegen, wenn sich die Seele Gildas aus dem sterbenden Körper löst und dem ewigen Licht entgegen schreitet. Damit ist Regisseur Davide Livermore, dem auch schon La Traviata anvertraut war und der Il Trovatore inszenieren wird, die Verbindung von Brutalorealismus, so reichlich Blut zwischen den Beinen der entjungferten Gilda, mit Pseudoreligiösem nicht gelungen, hinterlässt er beim Zuschauer einen faden Geschmack.
Mit Luca Salsi wurde für die Produktion der Sänger gewonnen, der im Moment das Maß aller Dinge zu sein scheint, quasi der Ersatz von Nucci und Bruson, wenn nicht gar noch von Cappuccilli in einer Person, durchaus mit einem machtvollen, farbigen Bariton begabt, aber leider in dieser Aufnahme eher dem Verismo als kultiviertem Verdi-Gesang huldigend. Sowohl in „Pari siamo“ wie in „Cortigiani, vil razza“ geht er sogar in Sprechgesang über, erst im „Piangi“ staunt man über weitausgreifende, schöne Bögen und ein feines Legato. Bereits auch an der Scala hat die Albanerin Enkeleda Kamani die Gilda gesungen, kühl und ebenmäßig klingt „Caro nome“ mit sicherer Höhe, ein wunderschönes Pianissimo weiß der Sopran im „Tutte le feste“ anzubieten und insgesamt ist ihre Gilda eine durchaus berührende. Nie ohne Pulle oder Pistole tritt der Duca von Javier Camarena auf, dem rüden Gehabe steht ein kultivierter tenore di grazia leichter Emission, strahlender Höhe und generöser Phrasierung entgegen. Die Maddalena von Caterina Piva ist zweifellos bella, wenn nicht gar bellissima, die Stimme aber flach und im Quartett wenig präsent. Schlank geführt wird der schöne Bass von Alessio Cacciamani, der den Sparafucile gibt. Machtvoll setzt sich der Monterone von Roman Lyulkin in Szene und trägt erstaunlicherweise ein Kostüm aus der Verdi-Zeit. Riccardo Frizza ist der erfahrene Kapellmeister in bester Verdi-Tradition mit Brio und Generosità und damit ein Gewinn für eine Produktion, die optisch zu sehr in Richtung „modern sein ohne Rücksicht auf Verluste“ schielt (Dynamic 57921/ weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de). Ingrid Wanja