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Uraufführungen der Opern von Paul Dessau an der Berliner Staatsopern waren stets Veranstaltungen der besonderen Art. Lukullus in seinen beiden Fassungen, Puntila und Lanzelot gingen noch weit vor meiner Zeit in Ostberlin erstmals über die Bühne. Bei Einstein (1974) sowie Leonce und Lena (1979) war ich selbst unter den Zuschauern. Es war nicht so, dass ich wild erpicht auf die Musik gewesen wäre. Ein Eingeständnis, mit dem ich gewiss nicht allein stand. Es war das Theaterereignis selbst, das magisch anzog. Der Cäsarenkopf des charismatischen Komponisten war schnell ausgemacht auf dem Stammplatz im ersten Rang. Im Publikum viele bekannte Gesichter der Musik- und Kunstszene aus Ost und West. Dessau war gut vernetzt. Regisseurin aller Uraufführungen war Ruth Berghaus, die Ehefrau des Komponisten. Man konnte also sicher sein, die Werke so authentisch zu sehen und zu hören wie es dem Schöpfer vorschwebte. Die Verurteilung des Lukullus, Puntila, Einstein sowie Leonce und Lena erschienen bei der DDR-Firma Eterna auch auf Platten. Den Puntila dirigierte Dessau sogar selbst. Lanzelot wurde nicht eingespielt. Audite holt dies jetzt mehr als fünfzig Jahre nach der Uraufführung am 19. Dezember 1969 nach. Die Firma veröffentlichte den Mitschnitt einer Vorstellung im Deutschen Nationaltheaters Weimar vom 23. November 2019 (23.448).
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Warum kam in der DDR keine Aufnahme zustande? Zufall? Wohl kaum. Der Komponist hatte seine Oper anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung der DDR „allen, die in unserer Republik für den Sozialismus kämpfen und arbeiten“, gewidmet. Dessau dürfte aber nicht Dessau gewesen sein, wenn da nicht auch dialektische Hintergedanken im Spiele gewesen wären, die auch die verantwortlichen Funktionäre um Partei- und Staatschef Walter Ulbricht, der seinerzeit noch im Amt war, verstanden. Lanzelot verschwand nach weiteren Aufführungen Anfang der siebziger Jahre in München und Dresden in der Versenkung. Die literarische Vorlage ist das satirische Schauspiel der Drache des russischen Schriftstellers Jewgeni Schwarz, der sich überlieferter Märchenstoffe bedient, um die politischen Verhältnisse in seiner sowjetischen Heimat satirisch unter die Lupe zu nehmen. Obwohl sein Drache den Hitlerfaschismus symbolisierte – das Stück entstand 1943 unter dem Eindruck der Blockade Leningrads durch deutsche Truppen – wurde schnell klar, dass Schwarz auch eine überzeitliche Botschaft vermitteln wollte. Unter der Herrschaft des mystischen Untieres, in einem totalitären Staatswesen also, richten sich Menschen ein, fühlten sich versorgt und geschützt. Und bringen es zu einem gewissen Wohlstand, wenn sie denn nicht aufbegehren. Schließlich wird nicht der Unterdrücker sondern der potentielle Befreier von diesem Zustand als Bedrohung wahrgenommen. Nicht zufällig ist die titelgebende Gestalt bei Dessau Lanzelot, der Drachentöter. Das Libretto verfasste der für sein literarisches Interesse am Leben in Diktaturen bekannte Dramatiker Heiner Müller gemeinsam mit der Übersetzerin Glinka Tscholakowa. Es kann – dies ein beispielhafter Service – auf der Audite-Seite im Netz gemeinsam mit weiteren Materialien heruntergeladen werden.
Dessau, der Kommunist, glaubte an die zutiefst bürgerlich geprägte Kategorie Oper. „Ich jedenfalls betrachte diese komplexe Großform des Theaters, in der so vielfältige Kunstgattungen wie Musik, Dichtung. Pantomime, Tanz, Gesang, Sprechgesang (wie ihn Arnold Schönberg inaugurierte) einander ergänzend und steuernd ihre Platz finden, als das ausdrucksstärkste Genre, um die großen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit künstlerisch zu beleuchten“, schrieb er im Programmheft zur Uraufführung. Das Zitat findet sich auch im Booklet-Text der Audite-Neuerscheinung des Musikwissenschaftlers Michael Struck-Schloen. Schlaglichtartig offenbart es ein Problem. Man kann eine Opernproduktion auf CD nur hören – und nicht sehen. Dessau aber braucht die Bühne und die sprichwörtlicher Theaterluft. Die ausdrucksstärken bunten Bühnenfotos aus Weimar vermitteln von der Inszenierung durch Peter Konwitschny zwar einen starken Eindruck von dem prallen, oft die Szene wechselnden Geschehen, das Theatererlebnis selbst müssen sie letztlich schuldig bleiben.
Der Mitschnitt unter der Leitung des Chefdirigenten für die Sparte Musiktheater, Dominique Beykirch, verlangt auch an den heimischen Lautsprechern nach einem aufmerksamen und neugierigen Publikum, das bereit ist, ein weithin völlig unbekanntes Stück kennenzulernen. Wer nach guten Kopfhörern greift, hat mehr davon. Die pralle Bühnenatmosphäre rückt dann noch dichter heran. Ein Manko der Aufnahme wird dadurch allerdings nicht geringer – die eingeschränkte Wortverständlichkeit, die im Theater weniger auffällt, weil die Bühnenaktionen aus sich heraus auch erklärend wirken. So wundert es nicht, dass diese Wiederentdeckung in der Stadt Goethes und Schillers zu einem einhelligen Erfolg geriet. Einem Erfolg, an dem neben Dirigent und Regisseur die maßgeblichen Solisten Emily Hindrichs (Elsa) Máté Sólyom-Nagy (Lanzelot), Oleksandr Pushniak (Drache), Juri Batukov (Charlesmagne), Wolfgang Schwaniger (Bürgermeister), Uwe Stickert (Heinrich), Daniela Gerstenmeyer (Kater) und Andreas Koch (Medizinmann) maßgeblichen Anteil hatten. Rüdiger Winter
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Lancelot als Opernstoff: Der Germanist Michael Waltenberger hat den Topos des Lancelot in der Oper in einem Aufsatz (in Mittelalterrezeption im Musiktheater: Ein stoffgeschichtliches Handbuch, De Gryuter 2021) untersucht und schreibt dort: Die Lancelot-Opern des neunzehnten Jahrhunderts konzentrieren sich in der Mehrzahl auf eine ganz bestimmte Episode aus dem weiten Handlungskreis um Lancelot, nämlich auf die krisenhafte Komplikation seiner heimlichen Beziehung zu Ginover durch die Liebe der Jungfrau von Escalot, die von ihm abgewiesen wird und aus Kummer stirbt (…).
Noch vor dem mittelalterlichen Prosaroman wird der Lancelot-Stoff durch einen Versroman Chretiens de Troyes schriftliterarisch manifest: Der um 1170 entstandene Chevalier de la charrette exponiert bereits das dilemmatische Liebesdreieck zwischen dem Königspaar und dem besten Ritter der Tafelrunde. Nur wenige Jahrzehnte später entsteht dann der französische Lancelot en prose, der nicht nur die Geschicke des Helden zu einer vollständigen Biographie erweitert, sondern diese auch noch in eine Gesamtchronik des Artusreichs einbettet und durch die Integration des Gralsstoffs vor einen heilsgeschichtlichen Horizont rückt (… und) wird schon bald durch vorgeschaltete Teile (Estohe del Saint Graal – Estoire de Merlin) zum Lancelot-Gral-Zyklus erweitert. Dutzende von Manuskripten, dann auch eine Reihe von Drucken überliefern den Roman kontinuierlich vom dreizehnten bis zum beginnenden sechzehnten Jahrhundert; vielfältige Varianten entstehen durch Bearbeitungen, Kompilationen und durch Kontamination mit anderen höfisch-ritterlichen Stoffen. Schon im Mittelalter weitet sich die Rezeption durch Ausläufer in mehrere europäische Literaturen aus.(…)
Die Konjunktur dieser Episode als Opernstoff ist ein Epiphänomen ihrer breiten zeitgenössischen Popularität und der reichen literarischen wie bildkünstlerischen Rezeption ihrer Bearbeitung durch Alfred Lord Tennyson (1809-1892/ 1833 und revidiert 1842 Ballade The Lady of Shalott nach einer italienischen Novellenversion des dreizehnten Jahrhunderts). Auf Tennysons Idylle basieren unter anderem die Libretti der Lancelot- Opern von Charles Parry (entstanden 1884-1886) oder auch Victorin de Joncières (UA 1900 … u. a, ).
In vielen Fällen hat allerdings weniger Tennysons differenzierte romantische Psychologisierung (…) inspiriert, sondern eher das dramaturgisch hochwirksame Plot-Gerüst. So reichern etwa Edouard Blau und Louis Gallet in ihrem Text für den überzeugten Wagnerianer Joncieres (1839-1903) das Geschehen mit Figuren und Handlungselementen aus anderen Prätexten an und rücken zugleich die Polarität zwischen den beiden Frauenfiguren behutsam der antithetischen Grundkonstellation des Tannhäuser (-> Dichter und Sänger) näher (Joncieres 1899). Musikalische, szenische und strukturelle Annäherungen an Richard Wagner sind selbstverständlich schon vor Joncieres zu finden. (…) (Übrigens gibt es im mittelalterlichen Lancelot en prose zwar keine erotische Spannung zwischen Lancelot und Artus, wohl aber eine enge homosoziale, mit homoerotischen Obertönen versehene Beziehung zwischen Lancelot und seinem besten Freund, dem König Galahot.). Soweit Michael Waltenberger
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Dank gilt Michael Waltenberger, Professor für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilian-Universität München (hier Einzelheiten zur Person), und Autor des Beitrags zu Lancelot in: Mittelalterrezeption im Musiktheater: Ein stoffgeschichtliches Handbuch; herausgegeben von Christian Buhr, Michael Waltenberger. Bernd Zegowitz.; Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 06.04.2021 – 652 Seiten, S. 305 pp: Michael Waltenberger hat uns liebenswürdiger Weise die Übernahme seiner Textpassagen gestattet. G. H.
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier.