Elend des Klassik-Establishments

 

Mozarts Zauberflöte zählt zu den beliebtesten und meistaufgeführten Opern überhaupt – und auch auf Tonträger kam sie ungezählte Male. Nun ist eine weitere Aufnahme erschienen, bei der ehrwürdigen Deutschen Gammophon, die ja schon einige Aufnahmen dieser Oper vorweisen kann.

Der Musikkritiker ist ja jetzt mal wieder der Buhmann, wie die neuesten Bodyshaming-Skandale beweisen. Es scheint sich allgemein die Theorie durchzusetzen, dass Musikkritiker nur dann kompetente und brauchbare Menschen sind, wenn sie das Establishment loben und füllige Frauen nicht füllig nennen (Salzburg). Wenn sie etwas beanstanden oder die Dinge so sagen wie sie sie – buchstäblich – sehen, sind sie natürlich ahnungslose Dilettanten, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.

Vielleicht ist dies einer der letzten Verrisse, den ich schreibe, bevor auch ich beschließe, aus Bequemlichkeit dazu überzugehen, nur noch „Empfehlungen“ auszusprechen, um dem Facebook-Shitstorm zu entgehen. Wir müssen ja, wie mir mal ernsthaft eine Opernsängerin schrieb, die Aufnahmen gar nicht besprechen, die uns nicht gefallen. Damit ersparen wir uns und den Machern jede Menge Ärger. Schöner Tipp.

Der Mensch lebt gern sicher und bequem. Und wer heute an Idole rührt, lebt gefährlich. Das Entsetzliche in unserer Schönen Neuen Welt ist, dass nunmehr fast nur noch das Fan-Urteil geduldet wird und keine echte Kritik. Der Fan weiß schon vor der Aufführung, dass es ihm gefallen wird. Der Kritiker weiß es erst hinterher.

Mein Endruck – ein grauenvoller Tamino: Klaus Florian Vogt ist schlicht und für mein Empfinden ein grauenvoller Tamino. Weil sich in dieser Interpreation rein gar nichts von der Sinnlichkeit der Musik überträgt. Die Stimme wirkt auf mich auf der neuen Aufnahme bei DG grau, flach, unlyrisch, dieses Unschuldsgefühl, das man bein Hören der frühen Vogt-Aufnahmen hatte und das bei Figuren wie Lohengrin oder Parsifal so verlockend und plastisch herausgearbeitet war, ist futsch. Das alles stellt sich hier für mich nicht ein, für mich ist das eine absolut langweiliger Interpretation (Ein Vogt-Fan schrieb auf meine Radiokritik hin: „Aber welcher Tamino klingt nicht langweilig?“ Kein Kommentar!!!) Geblieben ist der große Name des Tenors, aber nicht viel mehr.

Pure Clownerie: Rolando Villazón gibt den Papageno, und Regula Mühlemann muss ihn als Papagena begleiten. Selbst Karl Kraus wäre nicht in der Lage, das ganze Elend der Klassik-Estasblishments knackiger in einem einzigen Satz zusammenzufassen. Mehr müsste man dazu gar nicht sagen. Ich tu´s aber doch, selbstmörderisch wie ich bin.

In der schönen Produktion der Nozze di Figaro der Deutschen Grammophon von 2016 war Villazón noch bescheiden. Da beschränkte er sich mit der kleinen Rolle des Basilio, die er auch überzeugend ausfüllte. Nach der bewährten Märchenmethode vom Fischer und seiner Frau waren es in den folgenden Jahren Ottavio, Belmonte und Tito. Nun hat er sich die Bariton-Rolle des Papageno geschnappt – und sitzt wieder in der Hütte. Hier begibt sich Villazón auf die Spuren seines großen Vorbilds Plácido Domingo, der ja auch verstärkt Baritonrollen singt, doch was bei Domingo zumindest nicht gruselig klang, ist bei Villazón reine Clownerie. Ein Tenor, der augenzwinkernd so tut, als wäre er Bariton. Das kleine Duett mit Papagena macht auf tragische Weise den Abgrund deutlich, der zwischen ihm und einer echten Mozart-Sängerin (Mühlemann) aufklafft – was Villazón macht, hat überhaupt nichts mit Mozart zu tun, das ist bei aller Artistik Edelklassik-Klamauk. Was Regula Mühlemann macht, hat extrem viel mit Mozart zu tun, sie ist eine stilsichere Künstlerin.

Da zeigt sich die ganze Gönnerhaftigkeit und Arroganz einer elitären, Promi-Namensbefrachteten Klassik-Szene. Auf Youtube sind Nezet-Seguin und Rolando Villazón zu sehen, wie sich darüber freuen, dass Frau Mühlemann auf der Zauberflöte mit dabei ist. Dann wird darauf verwiesen, dass sie auch schon in der Figaro-Produktion mitgesungen hat. Hat sie. Als Barbarina. Toll. Da kann sie eine Minute lang singen. Und in der Zauberflöte darf sie schon zwei. Regula Mühlemann ist eine der aufregendsten Nachwuchs-Mozart-Sängerinnen schlechthin, sie steckt Vogt und Villazón locker in die Tasche, was Stilsicherheit bei Mozart angeht. Muss sich aber einrahmen lassen wie eine Debütantin.

Auch die Königin der Nacht überzeugt mich nicht ganz. Die russische Sängerin Albina Shagimiruratova ist sicher eine routinierte Sopranistin, aber zu einer zupackenden Königin gehört nun mal auch Textverständlichkeit. Eine passable Künstlerin, aber zu klein für (die Preise von) Baden Baden und das große Label der Deutschen Grammophon.

Wie Butter und Zucker: Viel Niederschmetterndes ist von dieser Zauberflöte gesagt worden – gibt’s auch was Positives zu vermelden? Natürlich. Nezet-Seguin ein großer Könner, ich mag den Drive und den Witz seiner Orchesterführung, seine Zusammenarbeit mit dem Chamber Orchestra of Europe ist wie immer ein Highlight dieser Mozart-Serie, die beiden passen zusammen wie Butter und Zucker. Eine eindeutige Steigerung ist in Baden Baden nach dem guten Vokalensemble Rastatt der exzellente RIAS Kammerchor. Die solistische Säule der Aufnahme ist Christiane Karg als Pamina, wie immer klar, hell, stilistisch blitzsauber, mitunter von dem mädchenhaften Charme beseelt, die Helen Donath in dieser Rolle einst hatte – eine Musterpamina. Fast möchte man sie anhimmeln, aber das liegt natürlich an einer akustischen Täuschung. Wie sagt Mark Twain so schön: Man ist geneigt, Schönheit zu überschätzen, wenn sie selten ist (Mozart: Die Zauberflöte;  mit Rolando Villazón, Klaus Florian Vogt, Christiane Karg, Albina Shagimuratova, Franz-Josef Selig, Regula Mühlemann;  RIAS Kammerchor; Chamber Orchestra of Europe, Dirigent: Yannick Nézet-Séguin; Deutsche Grammophon, 2 CD DG 4836400). Matthias Käther