Foronis „Cristina“

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2007 fand im schwedischen Vadstena, stets für Überraschungen gut, die Opernsensation für Belcantofreunde statt – Jacopo Foronis Schwedenepos Cristina Regina di Svezia. Hat irgendwer schon einmal den Namen des Komponisten gehört? Es gibt unter den Dokumenten eine Sinfonie und eine Ouvertüre von ihm, die unter Toscanini aufgeführt wurden und die seinen Namen in Italien lebendig gehalten haben, aber sonst? Die erste moderne Einspielung der Ouvertüre aus Schweden (Sterling) ist unter anderen Aufnahmen fast unkenntlich verpackt und bleibt unspektakulär. Aber ist es nicht ebenso erstaunlich wie beglückend, dass es immer wieder Opernausgrabungen gibt, die ein kleines Wunder zu Tage fördern? Nichts weniger ist diese Cristina von Foroni! Diese kraftvolle Oper geht in ihren Kunstgriffen, ihrer unglaublich dichten Orchestrierung und in ihrer Verwendung von zentraleuropäischen stilistischen Merkmalen weit über eine bloße Donizetti-Nachfolge hinaus und bietet Vor-Echos von Liszt, Berlioz und Wagner, während sich Verdi zur selben Zeit mit dem Stiffelio beschäftigte und seine Aida, sein Trovatore oder sein Otello noch im Nirwana schlummerten.

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Liine Carlsson als Königin Cristina/VOF

Liine Carlsson als Königin Cristina/VOF

Die Ausgrabung (und nun auch Studio-Einspielung nach einigen Durchläufen in Schweden) der Cristina ist deshalb so bedeutend, weil sie wieder einmal zwingend vor Augen führt, was 1850 in Europa neben Verdi im Musikalischen möglich war. Hier bot – wie seine Kollegen Apolloni, Ponchielli oder Gomes – wieder ein Komponist eine Alternative zum machtvollen Giganten, der uns quasi als einzig Bedeutender jener italienischen Epoche in Erinnerung zu sein scheint .Foronis Klangsprache (in seiner erst zweiten Oper!) erscheint von unglaublicher Dichte, von großer psychologischer Kraft, von meisterhafter Verwendung motivbetonter Thematik. Bereits die ausladende Ouvertüre präsentiert anschaulich die verschiedenen Motive, die dann als Handlungsmarkierungen später in den einzelnen Akten wieder auftauchen – die der Verschwörer, die der kontemplativen Momente ebenso wie die der wild auffahrenden Eifersucht Cristinas, die der liebevoll dahin fließenden Erinnerungen Gustavs, die des aufgeregten Hofes – jeder Handlungsstrang zeigt seine eigene Thematik.

Daniel Johansson als Gabriele/VOF

Daniel Johansson als Gabriele/VOF

Dazu kommen wirklich eindrucksvolle Orchesterfarben und -besetzungen – das Flirren der Flöten im Vorspiel zur Szene der Verschwörer, die dumpf-klagende Oboe und das Englischhorn beim Gewissenskonflikt der Königin, die schnell erregten pizzicati in der Liebesszene Gabriels und Marias. Die Partien selber sind sehr anspruchsvoll, namentlich die der Königin, die in den Anforderungen einer Norma oder Anna Bolena in nichts nachstehen, die aber auch ein kompaktes Orchester wie der Gioconda durchstehen muss. Interessant ist auch, dass Cristinas Nachfolger Gustavo ein Bariton ist. Der Tenor bleibt dem jungen, ungetreuen Gabriele als Liebhaber vorbehalten und erinnnert an Robert Devereux. Ganz sicher war Foroni Donizetti und Rossini verpflichtet – aber man hört eben auch das Kommende, etwa Liszts Heilige Elisabeth oder auch Berlioz, und klanglich ist Mendelssohn zu ahnen. 

Die Aufnahme bei Sterling (mit Aufsatz von Anders Wiklund und Libretto) folgt in der Besetzung im Wesentlichen der Aufführung in Vadstena – eine Veränderung betrifft den nun neu auftretenden Sänger hinter der Bühne ( à la Tell oder Beatrice di Tenda) beim Prodica- ähnlichen Landgang Gustavos. Gesungen wird bis auf eine Ausnahme ganz prächtig und bis auf die neue Sängerin der Nebenfigur Maria, Ann-Kristin Jones (ein Gewinn gegenüber der Vorgängerin), unverändert bewundernswert mit Kosma Ranuer/Oxenstierna, Iwar Bergkwist/Erik, Daniel Johansson/Gabriele (sogar besser hier), Fredrik Zetterström/Gustavo (dto.) und anderen mehr. Einzig die Titelsängerin Liine Carlsson zeigt, wie schnell eine Stimme unter Raubbau gerät, was ein Jammer ist. Das Göteborg Opera Ochestra und der fabelhafte Göteborg Opera Chorus haben vielleicht nicht die ganz so überspringende Begeisterung der jungen Leute von Vadstena, aber klingen unter Tobias Ringborg engagiert und klangschön. Ich habe mich lange nicht mehr so für eine Aufnahme und Oper begeistert – diese ist’s für die einsame Insel mit Elektroanschluss.

Und auch die Opernfestspiele von Wexford 2016 machten die Oper  – also gibt´s noch eine weitere Version. Felici noiGeerd Heinsen

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Jacopo Foroni: Cristina Regina di Svezia mit Liine Carlsson/Christina, Ann-Kristin Jones/Maria, Kosma Ranuer/Oxenstierna, Daniel Johansson/Gabriele, Fredrik Zetterström/Gustavo; Chor und Orchester der Oper Göteborg, Leitung – Tobias Ringborg 2 CD Sterling CDO 1091/92-2

 

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.