Eigentlich für Maria Callas und um ihr einen ungeteilten Applaus zu sichern, war Poulencs La Voix Humaine aus dem Jahre 1951 gedacht (sagt das Booklet), denn der Komponist hatte einer unrühmlichen Szene beigewohnt, in der der Sopran und Partner Mario Del Monaco um die Solovorhänge gerangelt hatten. Schließlich aber entschied sich Poulenc doch für Denise Duval, auch die erste Blanche, als Sängerin der Elle, der Heldin ohne Namen seines Einpersonenstücks. Es ist die Vertonung einer Szene von Jean Cocteau aus dem Jahre 1927, der Telefondialog einer verlassenen Geliebten, in dem man das vom Partner Gesagte lediglich erschließen kann und in dem sich Elle in einem Spannungsfeld von Gesagtem, Gemeintem und wirklich Gefühltem bewegt. Obwohl Poulenc einer Aufführung nur mit Klavier nie zustimmen wollte und dies, obwohl er selbst sich einiger Verstöße gegen sein Gebot schuldig machte, erlaubten die Nachkommen Felicity Lott und Graham Johnson die Aufnahme, die im Dezember 2011 in Champs Hill in Sussex entstand. Es ist dies die erste visuelle Aufnahme der Partie mit ihr, eine CD mit Armin Jordan stammt ebenfalls aus den vergangenen Jahren. Bekannte Vorgängerinnen in der Rolle sind auf CD außer Denise Duval noch Julia Migenes und Franҫoise Pollet (nicht zu vergessen Renata Scotto auf einem Live-Mitschnitt).
Die Szene, über deren Urheber sich das Booklet in Schweigen hüllt, zeigt einen kleinen Raum mit Recamier, Teppich, Nachttischchen, Stehlampe, impressionistischen Bildern und eine kleine Hundestatuette. Keine junge Frau, wie es die Opernführer wollen und der man eine baldige neue Liebe zutrauen könnte, ist La Lott, sondern ältlich und vergrämt und deswegen noch erbarmenswürdiger in ihrem verzweifelten Versuch, den Geliebten, wenn nicht zurück, so doch wenigstens am Telefon zu (be)halten. Beinahe obzön wirkt der prächtige rote Morgenmantel, von dem im Gespräch die Rede ist. In dieser Szene sitzt, kniet, steht oder windet sich die Sängerin auf dem Boden, umklammert, streichelt, schlägt sie auf das Telefon ein, das eines der alten Art aus der Frühzeit der Telekommunikation ist.
Bewundernswert ist die Spannung, die Felicity Lott zwischen mühsam bewahrter Haltung und fast unerträglichem Leid aufbaut, wie sie beteuert, beschwört, beschwichtigt, wie sie zwischen beherrschtem Rezitativ und verzweifeltem vokalem Ausbruch wechselt bis hin zum „Je t’aime“-Schrei. Vokal bleibt sie dabei immer ladylike, was aber an der Expression des Gesangs keinerlei Abstriche verursacht. Unterbrochen wird der Quasi-Monolog durch den Kampf mit den technischen Unzulänglichkeiten des Telefons und den Einwürfen des Partners, auf die sie unterwürfig, aufbegehrend und immer wieder von Hoffnung getragen eingeht. Die Begleitung nur mit Klavier verstärkt die Intimität der Szene, wirkt insgesamt aber härter und eher eindimensional im Vergleich zur raffinierten Orchestrierung. In jedem Fall aber hinterlässt hier eine ganz große Charakterdarstellerin und fabelhafte Sängerin ein Zeugnis ihrer großen Kunst. Die Packung enthält sowohl eine DVD als auch eine Blue-ray Disc mit der Signatur CHRBR045.
Ingrid Wanja