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Im selben Jahr als Giovanni Simone Mayrs L’amor conjugale (1805), eine dramma sentimentale in einem Akt, einen Erfolg in Padua (Teatro Nuovo) feierte, erlitt die Urfassung von Ludwig van Beethovens Leonore eine missglückte Uraufführung im Theater an der Wien. Mayr, der heute vor allem als Lehrer Gaetano Donizettis bekannt ist, vertonte ein Libretto von Gaetano Rossi nach dem Textbuch der Léonore, ou L’amour conjugal (1798) von Jean Nicolas Bouilly.
Mayr und Beethovens unterschiedliche Kompositionsstille und Handlungsstränge zeigen, wie das gleiche Thema ganz anders konzipiert und realisiert wurde. Deswegen lohnt es sich L’amor conjugale kennenzulernen, obwohl sie keineswegs mit Beethovens Oper gleichzusetzen ist.
Die Handlung von Mayrs Oper spielt in einem Gefängnis in Polen. Der Gefängniswärter Peters (Rocco in Beethovens Oper) hat einen Helfer namens Malvino (Fidelio bei Beethoven), in Wirklichkeit Zeliska (Leonore bei Beethoven), die ihren inhaftierten Ehemann, Amorveno (Florestan bei Beethoven), befreien will. Peters Tochter, Floreska (Marzelline bei Beethoven), hat sich in Malvino verliebt. Malvino/Zeliska begleitet Peters in dem unterirdischen Gewölbe, wo sie ihren Ehemann erkennt. Moroski (Don Pizarro bei Beethoven) kommt maskiert mit der Absicht, Amorveno zu morden, aber Malvino/Zeliska rettet ihn. Ardelao (Don Fernando bei Beethoven) befreit das wiedervereinte Ehepaar.
Nach dem Mitschnitt der Oper vom Rossini-Festival in Wildbad 2004 unter Christopher Franklin bei Naxos nun Opera Fuoco unter der Leitung von David Stern hat diese selten gespielte Oper im April 2021 im Opéra de Massy aufgenommen. Die Sängerbesetzung ist überzeugend, insbesondere Chantal Santon-Jeffery als Zeliska/Malvino; sie klingt zärtlich mit Amorveno, sympathisch mit Peters und kühn gegen Moroski. Natalie Pérez als Floreska wirkt liebevoll und verlockend in ihrer Sehnsucht nach einer Ehe mit Malvino, die nicht zustande kommt; am Ende ist sie überraschenderweise bereit, die Tatsache, dass ihr Verlobter eigentlich eine schon verheiratete Frau ist, zu akzeptieren. Andrés Agudelo hat eine Stimme, die das Gefühl von tiefen Schmerz aber auch von Entschlossenheit sich nie dem Schicksal zu ergeben. Olivier Gourdy ist versöhnlich und väterlich als Peters. Adrien Fournaison klingt böse und rachsüchtig als Moroski. Für Fidelio-Kenner klingt der Hochtenor Bastien Rimondi als Ardelao, im Vergleich zu Don Fernandos Bassstimme, irritierenderweise jünger als die anderen Protagonisten.
Diese Aufnahme wirft ein neues Licht auf den aufführungsreichen Fidelio, der immer noch stark beim Publikum beliebt ist. Neben Leonora ossia L’amor conjugale (1804) von Ferdinando Paër, der auch der gleiche Stoff zu Grunde wie Fidelio liegt, gilt L’amor conjugale als Teil eines Quartetts von fast gleichzeitig entstandenen Opern, die über das selbe Thema verbunden sind. Denn Jean-Pierre Gaxeaux´ Oper Léonor von 1798, die in der Videoaufzeichnung von Opéra Lafayette bei Naxos operalounge.de besprochen wurde, geht diesen dreien nur geringfügig voraus.
Das Beiheft enthält das vollständige Libretto in Italienisch mit Englisch und Französisch Übersetzungen sowie mit kurzen Kommentaren auf Englisch, Französisch und Deutsch. Leider ist die Verpackung eine Katastrophe: ein Pappschuber mit dem Textheft festgeklebt in der Mitte und zwei beidseitig offene Hüllen, die die CDs ausfallen lassen. Hochwertige Musik verdient eine bessere Präsentation (Giovanni Simone Mayr: L‘Amor conjugale mit Chantal Santon-Jeffery, Andrés Agudelo, Natalie Pérez, Olivier Gourdy, Adrien Fournaison, Bastien Rimondi, Opera Fuoco, David Stern; Aparté 2 CDs AP267). Daniel Floyd