Durch Englands Sümpfe und andernorts

 

Mit schöner Regelmäßigkeit taucht die Waise und spätere Dorfschullehrerin Jane Eyre in einer neuen Verfilmung von Charlotte Brontës Erziehungs- und Gouvernantenroman von 1847 im Kino oder britischen Fernsehen auf. Auf der Opernbühne indessen nicht. Unserem Wunsch nach einem kuscheligen Liebesglück auf Thornfield Manor, wo Jane mit dem Besitzer Edward Fairfax Rochester vor dem Kaminfeuer sitzt, kam der 1927 in Kapstadt geborene John Joubert nach. In Vorbereitung seines 90. Geburtstages, zu dem die CD pünktlich auf dem Markt sein sollte, kam es im Oktober 2016 in Birmingham zu einer konzertanten Aufführung seiner Literaturoper, die sich nun bequem neben die entsprechenden DVDs stellen lässt (2 CD SOMMCD 263-2). Für die Aufführung wurden die drei Akte zu zwei Akten mit jeweils drei Szenen und 17 Personen eingedampft, wobei einige der Sänger mehrere Partien übernehmen. Joubert und sein Librettist Kenneth Birkin haben die Stationen von Janes Leidensweg durch die Sümpfe Yorkshires bis zu den Gärten von Thornfield zwischen 1987 und 1997 in eine bekömmlich konventionelle Oper gepasst (2000 folgte Michael Berkeley mit seiner Jane Eyre), die, sofern der Hörer mit dem Roman vertraut ist, die Brüche in der Handlung nicht zu sehr aufreißen. Auf jeden Fall versucht Joubert, das Geschehen mit einer theaterstarken, prallen Musik, eindrucksvollen Begegnungen und ausgreifenden Momenten der Reflektion an sich zu reißen, etwa in Rochesters Monolog „Now the shadows close about me“, wo David Stout mit der Verzweiflung des Holländers und einem entsprechend dunkelerzenen Bariton vor sich hinbrütet. In vielen Momenten kann sich Jane, der April Fredrick ihren Sopran leiht, der auf der Aufnahme etwas hart und ein wenig durchdringend klingt, aber die melodischen Erfindungen Jouberts gut aufnimmt, ihrer Liebe über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg versichern. Die Musik schmiegt sich dem Text und den zwischen Schauerstück und psychologischem Liebesroman schwankenden Situationen geschickt an, man denkt an Janáček, natürlich an Britten, an den Joubert, der u.a. an den Universitäten von Hull und Birmingham unterrichtete, im Nachkriegsengland stieß, auch an den Debussy des Pelléas, im Fluss mancher Entwicklungen vielleicht auch an Wagner. Das ist gut gemacht, wird von Kenneth Woods und dem English Symphony Orchestra sowie den weiteren Solisten, darunter Mark Milhofer als St. John Rivers und Gwion Thomas als Brocklehurst, mit einer dem Anlass angemessenen Hingabe gespielt, dennoch kann man sich schwer vorstellen, dass dieser zentrale Roman über weibliche Selbstbehauptung in dieser Form auf der Bühne eine Chance hätte; vielleicht in der Inszenierung Zeffirellis, der 1996 den Roman mit Charlotte Gainsbourg und William Hurt verfilmt hatte.

 

Weg vom Kaminfeuer hin vor das Radio lockt uns Jake Heggie; wie Nora, die an einem „Really Bad Day“ nach Hause kommt und das Radio andreht. Fertig ist der Einakter The Radio Hour für Kammerchor, eine stumme Schauspielerin und Instrumente; Libretto von Gene Scheer. Die Bitte John Alexanders um eine Oper für seinen Chor brachte Heggie und Scheer auf die Idee, eine Frau „in her late 40s or 50s“ und deren innere Stimme („No sex. No one calls and no one cares“) sowie die Klänge aus dem Radio auf die Bühne zu bringen: „Recalling Ravels magical L’ enfant et les sortilèges, the choir could become objects in Noras apartment, too.“ In drei Momenten erleben wir Nora: unglücklich nach einem schrecklichen Tag, zögernd die Welt der Klänge tretend und schließlich lächelnd und erleichtert. Ein Minidrama in weniger als 40 Minuten, in dem Heggie, von dem wir gerade erst Great Scott  hören konnten, den Chor nach Gruppen auffaltet, zum großen Chorklang bündelt, ihn Verkehrsgeräusche nachahmen und klatschen lässt, ihn auch solistisch zu „swing tunes, radio ads, a quasi-rap song, big band, a touch of 12-tone music“ reizt. Die John Alexander Singers machten sich unter ihrem Namensgeber und Leiter im Mai 2014 einen Spaß aus dem kleinen Stück, das tatsächlich ein wenig an Ravels Kinderzimmer-Miniaturen erinnert und auf der Aufnahme  (Delos DE 3484) um einige im gleichen Jahr eingespielte, nicht ebenso bemerkenswerte Zyklen mit der Heggie-Muse Susan Graham ergänzt wurde, die Szene mit Frauenchor Patterns, in der eine junge Aristokratin den Tod ihres Verlobten beklagt, die Vertonung des Emily Dickinson-Gedichtes I Shall Not Live Invain und die Bearbeitung – einmal für die Solistin, einmal als Chorstück – der zentralen Szene der Sister Helen Prejean He Will Gather Us Around aus Dead Man Walking.

 

Mit einer gewissen Vorsicht entblisterte ich Heresy, eine électronic opera des durch elektro-akustische und Klavierwerke hervorgetretenen irischen Komponisten Royer Doyle (* 1949), Known as the Gotfather of Irish Electronic Music“, über den der Häresie beschuldigten Giordano Bruno, „I never thought I’ d compose an opera. As a sience fiction fan I loved the expression ‚Space Opera’ given to multivolume series of sience fiction novels“. Durch die Begegnung mit Eric Fraad von Heresy Records entstand die Idee, eine Oper über einen Häretiker zu schrieben, um mit den Namen des Labels zu spielen, „I suggested a space opera (whatever that mighyt be) and he suggested that we should look for a Heretic in history that we could build an opera around, in line with the name of his label“. Aus dem Leben des italienischen Priesters, Philosophen, Dichters und Astronomen, der durch sein Postulat des unendlichen Weltraums gegen die offizielle Kirchenlehre verstieß, der Ketzerei beschuldigt und erst durch Papst Johannes Paul II. rehabilitiert wurde, klaubten Doyle und die Librettistin Jocelyn Clarke zentrale Szenen am Hof Heinrich III., von den Gerichtsverhandlungen in Venedig und Rom, in der Zelle vor seiner Hinrichtung sowie von seinem Nachleben im Einfluss auf das Schreiben von James Joyce, die er durch seine elektronische, minimalistische Musik zu suggestiven, fast sphärenklaren, selbst auf der CD theatralisch packenden Blöcken verdicht. Unterstrichen wird der Eindruck einer fast gläsernen Durchsichtigkeit, die an Glass’ Echnaton erinnert, durch die Verwendung hoher Stimmen, des Knabensoprans (Alex Smith) zu Beginn sowie für den jungen Giordano Bruno, mehrer Frauenstimmen für die Priester und Höflinge, männlicher Sopranisten für Kardinäle, eines Countertenors in mehreren Partien, der vorzügliche Iestyn Morris, zugleich der einzige mir bekannte Namen unter den Solisten. Dazu Daire Halin als Elisabeth I. und Göttin der Weisheit, die zusammen mit Caitriona O’Leary als Sonnengöttin eine wirkungsvolle Szene gestaltet, mit starrer Intensität singt der Tenor Morgan Crowley den Giordano Bruno sowie u.a. Heinrich III. und James Joyce. Die aus einer 2013 in Dublin aufgeführten ersten Fassung und der Uraufführung drei Jahre später zusammengesetzte Aufnahme (2 CD Heresy 021), ohne dass ich das genau entwirren lässt, zeigt immerhin, dass Heresy vermutlich auch auf der Bühne Effekt machen könnte.  Rolf Fath