Die Vornamen Emil und Nikolaus dürften in dieser Kombination nicht eben häufig sein. Emil Nikolaus von Reznicek gönnte sich diesen kleinen Hinweis und dürfte sich darüber amüsiert haben, dass eine Dame aus dem Gefolge der Milliardärstochter Gladys den Funker Machulke freudig mit „Du guter Emil Nikolaus“ begrüßt. Auf der Bühne gehört hat er diese Worte in seiner 1929 komponierte Oper Benzin freilich nie.
Die Uraufführung holte die Oper Chemnitz 2010 nach, deren seinerzeit vom MDR übertragene Aufführung nun bei cpo (7777 653-2) erschienen ist. Benzin ist eine leichtfüßige Umwandlung der Odysseus-Circe-Episode nach Calderons Adaption (Über allem Zauber Liebe), in der Reznicek den Kommandanten des Zeppelins 69 Ulysses Eisenhardt auf einer Insel landen und die in Fänge der Gladys, Tochter des Milliardärs Jeremias Thunderbolt, geraten lässt. Ulysses trägt Züge von Rezniceks Sohn Emil-Ludwig, Plumcake, ein weiterer Verehrer der Gladys, die seines Stief- und Adoptivsohns Burkhard. Und Gladys wiederum ist Burkhard Rezniceks zweiter Frau nachempfunden, der dem Bankhaus Heimann entstammenden Paula. Paula und Burkhard waren als Journalisten tätig, Paula 1928 Deutsche Meisterin im Tennis. Die familiären Implikationen, die Michael Wittmann in einem umfangreichen Text im Beiheft enthüllt, sind informativ, doch heute kaum interessant und schon gar nicht stücktragend. Ulysses muss bei seinem Weltrekordflug auf einer kleinen unbekannten Insel notlanden, da ihm das Benzin ausgegangen ist. Glück im Unglück, denn Benzin gibt es hier in großen Mengen. Allerdings wird die Insel, wie sein Ingenieur Hans Freidank erzählt, von der mit hypnotischen Kräften begabten Gladys verzaubert. Gladys will natürlich auch Ulysses verführen („Und was ist denn ihr Lieblingssport?“). Doch Ulysses wiedersteht. Gladys setzt als nun ihre Freundin Violet ein, die ans Werk geht, weil sie Freidank, auf den sie ein Auge geworfen hat, eifersüchtig machen will. Der Funker Emil Nikolaus Machulke und der Koch Obertupfer machen sich indessen mit zwei Damen aus Gladys Gesellschaft bekannt und schwärmen von den Vorzügen ihrer Heimatstädte Berlin und München. Ein operettenhaftes Hin und Her, bis Gladys sich ihre wahren Gefühle für Ulysses eingesteht, das Benzin freigibt und das Paar Gladys und Ulysses gemeinsam nach New York fliegt.
Wittmann erzählt auch, wie Hugo Eckeners Transatlantik-Überquerung, an der Personen beteiligt waren, die direkt oder indirekt – wie der amerikanische Zeitungsmagnat Hearst – durchaus Rezniceks Personal entsprachen, und schließlich der Black Friday der amüsanten Zeitoper über den Zeppelin den Boden unter den Füßen entzogen und zuerst Hamburg und dann auch Leipzig, wo immerhin Kreneks Jonny spielt auf herausgekommen war, vor einer Aufführung zurückschreckten. Das heiter-phantastische Spiel mit Musik, zu dem Reznicek selbst den Text nach Calderon geschrieben hatte, ist genau das, was der Untertitel sagt: Heiter, phantastisch. Eine Gruppe farbig entworfener und skurriler Figuren, interessante, filmartig aneindergereihte Szenen, zusammengehalten von einem wendigen, gelegentlich etwas platten Konversationston, der durchaus zu charmanten ariosen Einsichten fähig ist und Duette und Quartette in ensembleprächtige Lustspielszenen aufweicht und vor allem auf Tempo setzt.
Das Stück braucht, auch wegen Rezniceks etwas staksig ausschweifendem Text, ein bisschen, bis es in Fahrt kommt, doch dann dürfen die Figuren, die alle wie aus einer alten Filmkomödie wirken, kräftig aufdrehen, und Violet klingt dann genauso wie die verführerische Zerbinetta auf der einsamen Insel, was Guibee Yang wunderbar beweist. Gesungen wird auf dem bühnenprallen Mitschnitt recht angenehm. Johanna Stojkovic ist damenhaft zickig und mondän als lebhaft vollstimmige Gladys, Carsten Süss ein präzis verhaltener Tenorliebhaber Ulysses Eisenhardt, Andreas Kindschuh besitzt einen auffallend beherrschten Bariton für den Freidank, André Riemer ist der markante Emil Nikolaus Machulke und Keuta Räsänen der bollerige Milliardär Thunderbolt, den eine alte Liebe heimsucht (Heidrun Göpfert). Frank Beermann hat das raffiniert instrumentierte, aber etwas zu grobmaschig zusammengehaltene Stück zwischen Strauss und Jazz, Walzer, Tango und Foxtrott – samt der als Banda auf der Bühne fungierenden Jazz-Combo – sicher im Griff und bietet eine überzeugende Aufführung. Der einer österreichischen Offiziersfamilie entstammenden Freiherr Reznicek, der als Militärkapellmeister begann, an vielen Häusern als Kapellmeister und in Mannheim zeitweise als Generalmusikdirektor wirkte, war, zwar romantisch geprägt, in vielen Stilen und Moden versiert. Lange war nur seine Donna Diana-Ouvertüre bekannt. Neben Benzin (u.a. Bielefeld 2018) wurden von seinen 25 Opern zuletzt auch sein Ritter Blaubart (Augsburg 2012. cpo veröffentlichte die Berliner Konzertaufführung von 2002) und Holofernes (Bonn 2016) wiederentdeckt. Da kann man vielleicht noch nachbohren. Rolf Fath