Bitte nur die Tonspur …

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Er war einer der Ersten, die ein in den Achtzigern noch völlig unvorbereitetes Publikum schockierten, als er im Sferisterio von Macerata den Italienern eine an der Kokserei sterbende Mimi zumutete, und er hat bis heute trotz mancher Selbstzweifel sein Wirken fortgesetzt und mit einem Giulio Cesare in Egitto 20121 im Theater an der Wien vorläufig gekrönt. Da kommt in Keith Warners Produktion einiges an Regietheatertypischem zusammen wie flimmernde Leinwände im Hintergrund, abgeschlagene Schweine- und Menschenköpfe, wechselnde, aber meistens hässliche Kostüme, so für Cesare Fremdenlegionsuniform neben Antikem und Franz-Joseph-Uniform (man ist in Wien), Leichenwanne und Leichenwagen, ein abgewracktes Kino, in dem aber adrette Anbieterinnen von Eis und Süßigkeiten ihr Wesen treiben, wenn sie sich nicht auch in Söldneruniformen werfen müssen. Es wird fleißig gefoltert oder Banalstes wie die Vermessung des Cesare ausgerechnet zu „Al lampo dell’armi“ neben- und gegeneinander gestellt, und ab und zu geistert sogar das Gespenst des ermordeten Pompeo (aber mit Kopf) über die Szene. (Für die Bühne und die Kostüme ist Ashley Martin-Davis verantwortlich.)  Es ist schade, dass es den fast durchweg ausgezeichneten Sängern durch Dauerablenkung wie durch Lächerlichmachung kaum noch gelingen kann, ihr Können ins beste Licht zu setzen, denn zum einen beansprucht das dauernde Umherwieseln einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit, zum anderen lenkt es das Publikum ab und hindert es daran, ihre vokalen Leistungen  zu würdigen.

Einen extremen Kontrast zur Optik bildet die musikalische Gestaltung durch den wunderbaren Concentus Musicus Wien auf barocken Originalinstrumenten unter dem erfahrenen, die Musiker zu äußerster Stringenz anhaltenden Ivor Bolton. Einen stärkeren Kontrast kann man sich nicht vorstellen als den zwischen der akustischen Klarheit, dem instrumentalen  und  vokalen Glanz im Orchestergraben und auf der Bühne dem chaotischen Trübsinn für das gestresste Auge.

Trotz einer inzwischen schon beachtlich langen Karriere hat sich Bejun Mehta das verführerische Timbre seiner Stimme bewahrt, lässt sich bei „Va tacito e nascosto“ nicht durch das ihm abgeforderte Tennisspiel beirren, hat zärtliche Töne für „Aure deh, o pietà“ und gerät auch durch das überschnelle „Quel torrente“ nicht an seine Grenzen. Bewundernswert ist die raffinierte Agogik, die immer wieder aufhorchen lässt. Louise Alder ist eine auch optisch attraktive Cleopatra, die neben vielem Entstellendem auch Liz Taylors Goldgewand tragen darf, deren junge Stimme spritzig, geschmeidig und erotisch flirrend klingt und die nicht nur erstaunen, sondern in „Piangerò, la sorte mia“ auch berühren kann. Unberührt vom szenischen Treiben und stoisch in ihrer Leidensfähigkeit imponiert Patricia Bardon als Cornelia mit sanftem Mezzosopran. Ein optisch schmieriger Tolomeo mit Sonnenbrille und schmuddeligen Haarsträhnen ist Christophe Dumaux mit guten Höhen und angenehmem Timbre. Heller timbriert ist die Stimme, die ein zart-jugendlicher Jake Arditti dem hart herangenommenen Sesto angedeihen lässt. In der countertenorreichen Oper kann ein zartstimmiger Nireno, dargestellt von Konstantin Derri, wenig punkten. Erholsam für die überstrapazierten Ohren ist da die einzige tiefe Stimme, die von Simon Bailey für den Achilla. Joni Österlund ist der unglückliche,  handlungsbedingt sehr schnell das Zeitliche segnende Pompeo. Vokal und instrumental könnte es kaum besser sein, die Optik aber…… (Unitel 807804). Ingrid Wanja