Aus den Archiven des Österreichischen Rundfunks stammen die interessanten Neuigkeiten von Walhall und Myto. Alle sind erstmals auf CD erhältlich und meist in sehr guter Klangqualität. Die größte Rarität der Novitäten stellt Der Musikant von Julius Bittner (1874-1939) aus dem Jahr 1910 dar, ein volkstümliches Drama mit spätromantischem Touch um einen fahrenden Musiker und seine Leidenschaft zu der koketten Sängerin Violetta. Karl Schmitt-Walter und der emphatische Günther Treptow sind die prominentesten Mitwirkenden innerhalb eines durchweg stimmigen Ensembles, das von Felix Prohaska souverän durch den üppigen Melodienstrom geleitet wird. Im leidenschaftlichen finalen Liebesduett hat die mir völlig unbekannte Friedl Rieger als verkörperte Unschuld ihre große Stunde – ein ganz klarer, in der Höhe aufblühender Sopran. Die Krone aber gebührt Ester Rethy, bei deren sinnlicher Stimme und Ausstrahlung es verständlich wird, dass die Männer von ihr betört sind. (Myto 00332, 2 CD)
Die einstige Erfolgsoper Oberst Chabert von Hermann Wolfgang von Waltershausen (1882-1954), die 2010 an der Deutschen Oper Berlin mit Begeisterung aus dem Dornröschenschlaf erweckt und von cpo aufgezeichnet wurde, ist jetzt auch in einer Rundfunkaufnahme aus dem Jahr 1956 zu haben. Als gestandener Mahler- und Brucknerdirigent ist F. Charles Adler bei der Orchesterüppigkeit von Waltershausen ganz in seinem Metier. Mit Otto Wiener und Gertraud Hopf, in Graz die Heroine vieler dramatischer Rollen, ist das tragische Paar imponierend besetzt: beide stimmlich aus dem Vollen schöpfend und dabei von einer optimalen Wortverständlichkeit – ein Vorzug auch aller anderen hier besprochenen Aufnahmen. Der verzweifelte Ehemann Ferraud erhält durch die vokale Intensität des großen Julius Patzak besonderes Gewicht. Attraktiv ist der Bonus mit Auszügen aus Waltershausens Mitte der 30er Jahre entstandener, szenisch nie gespielter komischen Oper Die Gräfin von Tolosa. Sie haben mitreißenden Schwung, gepaart mit spanischem Kolorit. Ursula Rhein, zwischen 1965 und 1976 Ensemblemitglied in Mannheim und Nürnberg, und der stürmische Tenor Josef Jamitzky sind die Protagonisten der konzertanten Uraufführung 1958 beim Bayerischen Rundfunk. (Walhall, WLCD 0379 CD)
Großes Format hat die Aufnahme von Egon Wellesz’ (1885-1974) aus dem Jahr 1931 stammenden Antikenoper Die Bakchantinnen, die den Zuhörer in einen packenden, atemlos machenden Dauerrausch versetzt. Die Partie der Agave ist eine Tour de force, also genau das Richtige für Christel Goltz, die sich auch in diese Figur mit der ihr eigenen Glut und Schonungslosigkeit wirft. Aber auch die anderen Rollen haben es in sich. Paul Schöffler, bei der Aufnahme 1960 immerhin schon über 60 Jahre alt, gibt mit fast ungebrochener Stimmkraft eine imponierende Vorstellung des rächenden Dionysos. Dazu gesellen sich solch Kapazitäten wie der persönlichkeitsstarke markante Tenor Fritz Uhl und der hoheitsvolle Kurt Böhme. Eine besondere Aufgabe kommt dem bis in die Extreme geforderten Chor zu, die der Chor des ORF brillant meistert. Miltiadis Caridis gelingt eine bei der Komplexität der Partitur bemerkenswert transparente Wiedergabe. Der Bonus enthält zwei Wagner-Monologe und deutsche Lieder, gesungen von Paul Schöffler. (Myto 00331, 2 CD)
Ins Barock führt die 1944 von der österreichischen RAVAG produzierte Rundfunkaufnahme von Giovanni Bononcinis Polifemo. Um historische Aufführungspraxis, wie es heute gang und gebe ist, kümmern sich Max Schönherr und das Ensemble noch nicht. Hier wird romantisch breit musiziert und große Oper vorgeführt. Aber was macht das angesichts der prallen Sangeskünste. Da ist vor allem die edle Baritonkultur von Alfred Poell als Glaucus und die suggestive Bassschwärze von Herbert Alsen als Riese Polifemo. Und natürlich Anton Dermota, der für den Acis mit seinem wunderbaren lyrischen, geschmackvoll phrasierenden Tenor eine Luxusbesetzung ist. Die Damen schwanken zwischen warmem, beseeltem Gesang (Jetty Topitz-Feiler als Galathea), expressivem Ausdruck (Emmy Funk als Circe) und Soubrettenleichtgewichtigkeit (Fritzi Margaritella – welch Name! – als Silla und Maria Kytka als Venus) (Walhall, WLCD 0381).
Als nette, bisweilen etwas biedere Komödie präsentiert sich Albert Lortzings Einakter Die Opernprobe in dem von Kurt Richter einfühlsam dirigierten Mitschnitt von 1953. Als Kammermädchen Hannchen singt sich Dorothea Siebert, die in Bayreuth immerhin 17 Jahre lang ein Blumenmädchen vom Dienst war, mit frischem, hübschem Sopran in den Vordergrund. An ihrer Seite lernt man den vortrefflichen Buffo Franz Fuchs kennen. Rudolf Christ umwirbt mit charmantem Tenor die musikalisch kaum bedachte Louise von Edith Kermer. (Myto, 00333)
Musikdramatik pur ist bei der von Argeo Quadri 1960 kompetent geleiteten Wiener Rundfunkaufnahme von Verdis Macbeth zu erleben. Christel Goltz verspritzt als Lady Gift und Galle, zwar nicht mit italienischem Klang, aber mit vollstem Einsatz und umwerfender Präsenz. Als Macbeth lässt Hans Braun einen virilen Bariton deutscher Schule hören und kann sich mit gestalterischer Ausdruckskraft gegenüber seiner Gattin durchaus behaupten. Anton Dermota singt in schönster Belcanto-Manier die Macduff-Arie und das sich anschließende Duett mit Malcolm, Walter Kreppel einen erzenen Banquo. (Walhall, WLCD 0380, 2 CD)
Karin Coper