Akustischer Nachklang

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An prominent besetzten Aufnahmen von Händels Dramma per musica Rodelinda ist kein Mangel auf dem Plattenmarkt – jede Neueinspielung muss sich der Konkurrenz stellen und dagegen behaupten. Jetzt veröffentlicht ACCENT einen Live-Mitschnitt vom 9. September 2021 von den Internationalen Händel Festspielen Göttingen (ACC 26416, 3 CDs). Am Pult des FestspielOrchester Göttingen steht mit Laurence Cummings einer der renommierten Dirigenten der Alte Musik-Szene, der das Festival in Göttingen bis 2021 leitete und danach zum Musikdirektor der Academy of Ancient Music berufen wurde. In der einleitenden Ouverture setzt er energische Akzente und nimmt den Mittelteil in straffem Tempo. Den Sängern ist er ein zuverlässiger Begleiter und wartet auch immer wieder mit eigenen Nuancen auf.

Die im Barock-Repertoire erfahrene Besetzung wird angeführt von Anna Dennis in der Titelrolle. Die Sopranistin eröffnet das Werk mit ihrer klagenden Arie „Ho perduto il caro sposo“ und hat gleich danach ein zweites Solo, das erregte „L’empio rigor del fato“. Zu hören ist eine obertonreiche Stimme mit leuchtender Höhe und starker Empfindung im Vortrag. Berührend ist ihr an den vermeintlich toten Gatten gerichtetes „Ombre, piante“ mit innigem Klang und feinen Trillern. Bei den willensstark-mutigen Nummern besitzt die Stimme weniger Qualitäten, so bei „Spietati“ zu Beginn des 2. Aktes mit greller, heulender Höhe. Bei der flehentlichen Bitte Rodelindas, ihr Gatte möge zurückkehren („Ritorna, oh caro“), hört man dann wieder eine überzeugende Interpretation mit reichem Sopranklang, stilvoller Variation des Da capo und innigem Ausdruck. In ihren wunderbaren Duetten mit ihrem Gatten Bertarido am Ende des 2. („Io t’abbraccio“) und 3. Aktes („D’ogni crudel marti“) knüpft sie an diese Qualitäten an und der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey, der international zu den namhaftesten Händel-Interpreten gehört, vereint sich mit ihr in Harmonie und Wohllaut. Sein berühmter Auftritt, „Dove sei“, vom Orchester mit einer Sinfonia gewichtig eingeleitet, gehört zu den Standardnummern aller Countertenöre. Lowrey singt sie sehr sensibel und mit weichen schwebenden Tönen. Den 1. Akt beendet er mit dem resoluten „Confusa si miri“, wo sich eine Tendenz zur Larmoyanz bemerkbar macht. Im 2. Akt hat er mit „Con rauco mormorio“ ein melodisches Glanzstück der Komposition, das er mit zärtlicher Tongebung vorträgt, und mit „Scacciata dal suo nido“ eine Gleichnisarie von einer Schwalbe, die ihr Nest verloren hat. Letztere gelingt dem Sänger besonders überzeugend – sowohl im Klang als auch in der Ausformung der Koloraturen und Triller. Gegen Ende des letzten Aktes kommt dann sein cavallo di battaglia mit der Bravourarie „Vivi tiranno“. Hier hat er starke Konkurrenz, denn jeder renommierte Counter hat diese Nummer interpretiert. Lowrey behauptet sich achtbar, trotz eines gelegentlich heulenden Tones, und findet für das Da capo interessante Varianten.

Bertaridos Schwester Eduige ist mit der Mezzosopranistin Franziska Gottwald besetzt, die sich mit der Arie „Lo farò“ einführt und dafür eine strenge Stimme einsetzt. Das muntere „Quanto più fiera“ im 3. Akt klingt gefälliger. Eduiges Verlobter, der Herzog Grimoaldo, ist die Tenorrolle der Oper, hier mit dem Amerikaner Thomas Cooley besetzt, der seine Auftrittsarie, „Io già t’amai“, entschlossen und nachdrücklich vorträgt. Weniger gelingt ihm „Se per te giungo a godere“ mit bemüht klingenden Koloraturen. Das auftrumpfende „Tuo drudo è mio rivale“ ist dann wieder ein überzeugender Moment. Aufgewühlt-erregt ist der Duktus von „Tra sospetti“ im 3. Akt, wo auch Koloraturläufe gefordert sind. Diese gelingen dem Interpreten etwas besser. Am meisten überzeugt die sanft wiegende Arie „Pastorello d’un povero armento“ in ihrer zärtlichen Stimmgebung.

Als dessen Freund Garibaldo ist mit Julien Van Mellaerts ein weiterer Countertenor zu hören, der in seiner Karriere aber auch Baritonrollen interpretiert. Auch hier ist das zu hören. Das kantable „Di Cupido impiego i vanni“ im 1. Akt stattet er mit lyrischem Wohllaut aus. „Sì, sì, fellon“ im 2. klingt entschlossen und viril.

Die Besetzung komplettiert der Counter Owen Willetts als Grimoaldos Ratgeber Unulfo. Die Stimme ist im Klang nicht unangenehm, im Volumen allerdings recht schmal. Auch „Fra tempeste funeste“ im 2. Akt klingt zaghaft. Zu Beginn des 3. Aktes fällt ihm die zauberhafte Arie „Un zeffiro spirò“ zu, die ihm mit seiner sanften Stimme besonders liegt.

Insgesamt hinterlässt die Live-Aufnahme unterschiedliche Eindrücke und dürfte eher für jene Musikfreunde, die die Aufführung erlebt haben, eine willkommene Erinnerung sein (05. 06. 22). Bernd Hoppe