Junge Sänger sind gut beraten, sich neben der Oper dem Liedgesang zuzuwenden – auf dem Konzertpodium und im Studio. Lieder gleichen Visitenkarten. Sie übermitteln kurz und knapp, mit wem man es zu tun hat. Den Musikmarkt dominieren längst nicht mehr nur die Legenden. Es tauchen immer mehr neue Namen auf, die man sich merken sollte. Nicht selten haben sie noch bei jenen bedeutenden Sängerinnen und Sängern studiert, die in die Jahre gekommen oder bereits abgetreten sind. Der Bariton Ludwig Mittelhammer hatte einen Meisterkurs bei Dietrich Fischer-Dieskau belegt. Er ist nach eigenen Abgaben auf seiner Homepage Jahrgang 1988, geboren in München. Bayern haben offenbar kein Problem mit ihrem Alter. In der Regel gibt sich der Nachwuchs bei diesen Angaben gern zugeknöpft. Als sei das Geburtsjahr den Karrierechancen hinderlich. Jemand anderes könnte schließlich ja noch jünger sein.
Mittelhammer ist mit seinen einunddreißig Jahren jung. Auf seiner ersten Solo-CD, die bei Berlin Classics herausgekommen ist, singt er Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf und Nikolai Medtner (0301246BC). Der 1897 in Moskau geborene Medtner war Russe und ist immer nicht ein Geheimtipp. Vor der Oktoberrevolution floh er zunächst nach Deutschland, später nach Paris. 1935 ließ er sich in London nieder, wo er die größten Erfolge als Pianist hatte und 1951 starb. Medtner hinterließ drei Klavierkonzerte, Kammermusik, Klaviersonaten und um die hundert Lieder. Kurz vor seinem Tod hatte er noch die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf bei vierzehn Titeln für die EMI begleitet, darunter „Meeresstille“ und „Glückliche Fahrt“, die nun auch Mittelhammer singt. Er ist also in guter Gesellschaft. Und warum ist Medtner ihm wichtig? In einem im Booklet abgedruckten Interview mit der freien Autorin Hannah Schmidt ist zu erfahren, dass der Impuls vom Pianisten Jonathan Ware ausgegangen sei. „Die Lieder sind im Klavierpart sehr virtuos und auch für mich sehr anspruchsvoll, weil der Ambitus sehr groß ist“, so der Sänger. Sie seien „einfach musikalisch hochinteressant und wirklich schön“ und gehörten „viel mehr auf die Bühne“. Recht hat er. Es ist hörbar, wie ernsthaft er arbeitet. Gerade bei Medtner fliegt dem Interpreten nichts zu. Das wird jeder Ton zur Herausforderung, zumal der schon erwähnte Tonumfang extrem ist.
In dem Interview betont Mittelhammer, wie wichtig ihm bei der Vorbereitung die Arbeit mit dem Text sei. Das schlägt sich auch im Vortrag nieder, wenngleich sich hier und da Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. „Über allen Gipfel ist Ruh‘.“ So beginnt Goethes „Wandrers Nachtlied II“. Mittelhammer hat diese Ruhe in der Stimme, lässt sie aber nicht richtig ausschwingen, so dass es am Ende fast wie „Ruhe“ klingt. Gemessen am positiven Gesamteindruck der CD ist das eine Petitesse. Im Liedgesang kommt es aber nun einmal auf die Feinheiten an. Die Stimme ist kerngesund, kräftig und lässt gelegentlichen Anflügen von Robustheit erkennen. Hier wäre noch mehr Feinschliff angebracht. Ohnehin hatte ich den Eindruck, dass manches Pulver zu schnell verschossen wird. Mittelhammer sollte sich gelegentlich etwas zurücknehmen in seinem stimmlichen Sturm und Drang, mehr nach innen gekehrt singen und weniger nach außen. Wie bei Schuberts mehr als acht Minuten dauerndem Lied „An den Mond in einer Herbstnacht“, das für mich zum Höhepunkt des Programm wird. Mit fast zweiundsechzig Minuten ist die CD nicht überfrachtet.
Gern hätte ich zwischen den Liedgruppen passende Solostücke mit dem Pianisten gehört. Denn Jonathan Ware ist ein ganz vorzüglicher Begleiter, der beim Tempo sehr individuelle Einfälle hat. Obwohl er sich niemals in den Vordergrund drängt, nimmt er seinen Platz als gleichberechtigter Partner ein. Rüdiger Winter