Schauen wir doch mal, was der immer im Gewinn zu lesende Oscar Bie 1913 schrieb: „Der Nationalheros der ungarischen Oper ist Erkel, seine beiden Hauptwerke Hunyadi László und Bank Ban, 1844 und 1861. Bei der ersten Oper ist er noch stark im Bann des Italienischen, in dessen Formen und Linien das Ungarische wie eingesetzt ist, eine dumme Intrigengeschichte, die volksmäßig wirksam gemacht wird. … In Hunyadi László war das Ungarische in gar zu beschränkter Verwendung, Rache, Liebe, Einsamkeit, alles auf Tschardasrhythmen und überhaupt zu viel binärer Takt, wie ihn die ungarische Melodie mit sich bringt“. Ulrich Schreiber weist später neben der „Welt der schmachten Liebenden bei Bellini und Donizetti“ auf das „verdische Feuer“ hin. Dieses Feuer, wie wir es vom frühen Verdi kennen, hatte mich auch so begeistert, als ich Erkels beide Opern erstmals in Budapest hörte. Erkels Vorbilder dürften aber vor allem die Grand Opéras Meyerbeers und Rossinis (Guillaume Tell) gewesen sein. In jedem Fall gilt die Uraufführung des Hunyadi Laszlo 1844 im Nationaltheater von Pest, wo Erkel seit 1838 bis 1878 als Kapellmeister wirkte, als Geburtsstunde der ungarischen Nationaloper; konsequenterweise stammt auch die Himnusz genannte und mit einem Gebet beginnende ungarische Nationalhymne von Erkel. Die halb historische, um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Temesvár und Buda spielende Handlung um den zu unrecht enthaupteten aufrührerische Hunyadi László wurde in Budapest im Herbst 2012 neuinszeniert. Die quasi zeitgleich im Erkel Theater entstandene Brilliant-Classics-Aufnahme dokumentiert das Ereignis und löst die Hungaroton-Aufnahme von 1985 ab. Die ältere Aufnahme hatte mehr Material aus den diversen Fassungen benutzt, die aktuelle Einspielung stützt sich erstmals auf die kritische Edition (während die Bühnenproduktion weiterhin der Fassung von 1935 folgt). Sich bekämpfende Adelige ringen um die Herrschaft. Kurz nachdem er die Türken 1456 bei Nándorfehérvár vernichtend geschlagen hat, stirbt János Hunyadi. Neues Oberhaupt der Familie wird László, der sich gegen den von den Habsburgern eingesetzten Regenten Ulrik Cilley und weitere Widersacher behaupten muss. Mit Beatrix Fodor, Attila Fekete, Gábor Bretz, Erika Miklósa sind erste Kräfte des Hauses aufgeboten. In der zentralen Partie der Erzsébet, die um ihre Söhne – den Tenor Laszlo und die Sopranistin Mátyás – bangt, ist Beatrix Fodor zuverlässig, aber bei weitem nicht so furios, wie es „diese in ihrem Facettenreichtum fast die Fidès in Meyerbeers Le prophète vorwegnehmende Figur“ (Schreiber) verlangt. Vor allem die nach Anne de La Grange genannte Arie der Königinwitwe im 2. Akt, eine große dramatische Koloraturarie, wirkt ein bisschen dünn, hilfsbedürftig und harmlos. Attila Fekete, der von Rodolfo und Herzog bis Radames und Cavaradossi in Budapest fürs Italienische zuständig ist, singt den Hunyadi Laszlo mit verschwenderisch schönem Timbre und präziser Strahlkraft, Gábor Bretz singt den intriganter Paladin Gara mit hinreißend schönem Bass. Obwohl seine Tochter Maria Laszlo liebt und die Heirat angesetzt ist, verschachert er sie um den Preis, dass dieser den Lázslo hinrichte, an den König, der ebenfalls Maria liebt. Maria, die zweite Koloraturpartie, ist bei Erika Mikosa immer noch in zuverlässigen Händen; die extreme Höhe ist immer noch gut, nur die lyrische Mittellage ist inzwischen etwas angewelkt. Domonkos Héja dirigiert das von Erkel gegründete und aus Mitgliedern des Opernorchesters bestehende Budapest Philharmonic Orchestra.
Rolf Fath
Ferenc Erkel: Hunyadi László mit Dániel Pataky (König László V., König von Ungarn), Beatrix Fodor (Erzsébet Szilágy, Witwe des János Hunyadi), Attila Fekete (László, Erzsébets Sohn), Gabriella Balga (Mátyás, , Erzsébets Sohn), Gábor Bretz (Miklós Gara, Paladin), Erika Miklósa (Mária, seine Tochter), András Káldi Kiss (Razgonyi) u.a.; Budapest Studio Choir, Budapest Philharmonic Orchestra; Leitung: Domonkos Héja; 2CD Brilliant Classics 94869