Märchenballett und Frauenchor

Florent Schmitt (1870 – 1958), Schüler von Massenet und Fauré, spielte im Pariser Musikleben als Komponist prächtiger Orchesterwerke, Kammer- und viel Chormusik eine bedeutende Rolle, auch wenn er es nicht zu der gleichen Reputation wie seine Freunde Debussy und Ravel brachte. Vielleicht am bekanntesten ist die üppige Ballettmusik La Tragédie de Salomé, deren Suite Boris Romanoff 1913 für die Ballets des Russes im Pariser Théâtre des Champs-Elysees choreografierte. Einen berühmten Auftritt am gleichen Ort, aber ganz anderer Art, hatte Schmitt kurz vorher bei der Uraufführung von Stravinskis Sacre. Da beschimpfte er die vornehmen Zuschauerinnen als Huren, wie er überhaupt kein Blatt vor den Mund nahm. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts bekam sein Bild einen deutlichen Kratzer, als herauskam, dass er ranghoher Nazi-Kollaborateur und bekennender Antisemit war. Ein gravierender persönlicher Makel, gewiss, den man beiseite schieben muss, wenn man sich mit Schmitts künstlerischem Werk beschäftigt. Denn seine Musik ist es wert gehört zu werden, wie jene auf den beiden kürzlich veröffentlichten CD’s. Dies ist zunächst das Kinderballett Le Petit Elfe Ferme-l’Œil  (Der klein Elfe Luk-Oie). Es geht auf ein Märchen von Hans-Christian Andersen zurück, in dem Ole Luk-Oie, ein nordisches Sandmännchen, Kinder mit seinen Geschichten zum Einschlafen bringt. Schmitt vertonte 1912 sieben Episoden für vierhändiges Klavier, die er 1923 orchestrierte und um ein Vorspiel erweiterte – wie es früher schon Ravel mit seinem Märchenballett Ma Mère l’Oye tat. Schmitts Musik schlägt stilistisch eine Brücke zwischen opulenten russischen Tanzpartituren der Jahrhundertwende und französischem Impressionismus. Sie ist wie ein bunter Fleckenteppich, exquisit instrumentiert, von teils wilder, teils magischer Schönheit. Einen Ruhepunkt setzt das melancholische Lied des Kindermädchens, in dem sie an frühere Zeiten erinnert – es wird von Aline Martin sehr subtil und verinnerlicht gesungen. Gekoppelt ist das Ballett mit dem späten Cellokonzert Introït, Récit et Congé  aus dem Jahr 1948. Der ungewöhnliche Titel bezieht sich auf die drei durchkomponierten Sätze. Der erste beginnt frech rhythmisch, den zweiten beherrscht eine schmeichelnde Melodie, der dritte kulminiert in einer überschäumenden, fröhlichen Coda. Henri Demarquette spielt mit blühendem Ton und bewältigt die virtuosen Anforderungen an sein Instrument brillant. Jacquer Mercier und das wunderbare Orchestre national de Lorraine, von denen bereits Schmitts Antoine et Cléopâtre in einer glänzenden Aufnahme vorliegt, erweisen sich auch bei diesen beiden orchestralen Schmuckstücken als Klangzauberer mit untrüglichem Gespür für das enorme Farbenspektrum und die betörende Sinnlichkeit der Partituren.  

schmitt calliopeVon ganz anderem Reiz sind Schmitts mehrstimmige Vokalwerke, die erstmals 2001 beim Label Calliope erschienen und nun bei timpani neu aufgelegt wurden. Les Oeuvres pour voix de femmes enthält die zwischen 1931 und 1938 entstandene komplette Chormusik für Frauenstimmen. Dazu gehören fünf Zyklen, drei mit Klavierbegleitung, zwei a capella. Es sind sehr abwechslungsreiche, charaktervolle Gebilde, manche nur etwas mehr als eine Minute lang. Six Chœurs, op. 81, etwa, durchmisst Stile und Zeiten. Da gibt es die mittelalterliche Ballade „Le Page et la Reine“, die gewitzten „Marionnettes“, ein zartes Wiegenlied und – von besonderer Raffinesse – die orientalisch inspirierte Allah-Anbetung „Ezann“. Der 2000 von Régine Théodoresco gegründete Frauenchor Calliope, der seither von ihr geleitet wird, singt jede Nummer formvollendet: dynamisch differenziert, mit spielerischer Leichtigkeit und in den homogenen wie polyphonen Passagen gleich makellos. Marie-Cécile Milan ist mit feinnervigem, delikatem Anschlag eine adäquate Partnerin am Piano.

Karin Coper

 

Florent Schmitt: Le Petit Elfe Ferme-l’Œil; Orchestre national de Lorraine; Leitung: Jacques Mercier; timpani, 1C1212

Florent Schmitt: Les Oeuvres pour voix de femmes: Calliope-Régine Théodoresco, Voix de femmes; timpani, 1C1218