„O, wie will ich triumphieren“

 

Gottlob Frick„der schwärzeste Bass“. Dieses Markenzeichen soll der Dirigent Wilhelm Furtwängler dem Sänger verliehen haben. Es hängt ihm bis heute an wie ein Preisschild. Das muss nicht immer von Vorteil sein. Furtwängler schätzte Frick und setzte ihn auf der Bühne und im Studio ein. Mit Hundig, Rocco und König Marke ist diese Zusammenarbeit auch auf Tonträgern dokumentiert, kann also nachgehört werden. Diese Dokumente geben Auskunft darüber, was Furtwängler unter dem schwärzesten Bass verstand. Vom Gestaltungspielraum her sind den genannten Rollen gewisse Grenzen gesetzt. Bis auf Rocco machen sie auch keine Entwicklungen durch, müssen sich in keinem Duett und in keiner großen Ensembleszene stellen. Ihre Wirkung ist vornehmlich stimmlicher Natur. Nicht, dass sie sich von selbst sängen. Mit der richtigen Tessitura und Stimmfärbung hat ein Vertreter dieser Partien aber bereits viel gewonnen. Frick brauchte nur den Mund aufzumachen, um auch als bedeutender Gestalter wahrgenommen zu werden – sogar dann noch, wenn er eigentlich kaum gestaltete. Was aus ihm tönte, trug – einer Erbmasse gleich – dramatisches Potenzial in sich.

Mit der neuen Box wird des 25. Todestages des Sängers gedacht. Den Anstoß gab der Ehrenpräsident der Gottlob-Frick-Gesellschaft, Hans A. Hey. 

Im Booklet einer neuen Portrait-Box bei Profil Edition Günter Hänssler wird Jürgen Kesting aus seinem Standardwerk „Die großen Sänger“ zitiert: „Das Timbre der Stimme von Gottlob Frick einmal gehört, verliert man nicht aus dem Ohr.“ Das ist trefflich formuliert. Auch ich schätze an Sängern die Wiedererkennung als eine der schönsten Tugenden. Und was bei Kesting zunächst wie ein hundertprozentiges Kompliment klingt, wirft auch Fragen auf. Mir kommt es manchmal so vor, als stünde diesem Sänger sein unverwechselbares Timbre gelegentlich auch im Wege. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Freundeskreis, wobei Frick-Platten gehört wurden. Jemand sagte: „Der singt ja alles gleich.“ Mit so einem zugespitzten Urteil, das aber auch nicht völlig falsch ist, wird man Frick jedoch nicht gerecht. Die neue Edition, die auch im Titel mit dem eingangs erwähnten vermeintlichen Furtwängler-Zitat wirbt, will der Vielseitigkeit des Sängers in Oper, Oratorium und Lied Rechnung tragen. Furtwängler-Dokumente enthält sie nicht, was ich schade finde. Den Anstoß gab der Ehrenpräsident der Gottlob-Frick-Gesellschaft, Hans A. Hey, dem dafür im Booklet auch ausdrücklich gedankt wird. Wer auf ihn trifft, ob persönlich, am Telefon oder schriftlich, ist noch immer von diesem glühender Verehrer von Frick angesteckt wordenn. Kaum jemand dürfte sich so leidenschaftlich für das Andenken an den Bassisten engagieren wie er. Auch legendäre Sänger müssen im Gespräch bleiben, damit sie nicht zum Denkmal erstarren. Das weiß auch Hey.

Konkreter Anlass für die Neuerscheinung ist der 25. Todestag von Frick am 18. August 2019. Ein Tag, der sich für Rückschau genauso anbietet wie für Gedankenspiele, ob ein Künstler von seinem Schlage auch in der Zukunft noch eine Chance hat, wahrgenommen und verehrt zu werden. Dafür ist die Pflege des Nachlasses unerlässlich. Wie Maler in Gemälden, Dichter in Büchern oder Architekten in Bauwerken, leben Sänger in ihren Aufnahmen fort. Vor allem dann, wenn die Zeitzeugen, die sie noch auf der Bühne der im Konzert erlebt haben, allmählich abtreten. Es ist noch zu wenig anerkannt, dass Tonaufnahmen aller Art Teil des kulturellen Erbes sind, das es zu bewahren, wissenschaftlich zu erforschen und öffentlich zu machen gilt. Tonarchive werden im Gegensatz zu Museen und Bibliotheken meist nach Gutherrenart unter Verschluss gehalten. Es bleibt weitestgehend Firmen, Labels und privaten Initiativen überlassen, diesen Erbteil zu hegen, zu pflegen – und auch kritisch zu hinterfragen. Die Edition aus dem Hause Hänssler ist eine solche Initiative.

Bisher nur als LP greifbar gewesen: Die große Szene im Kabinett des Königs zu Madrid. Seine Auseinandersetzung mit dem Großinquisitor, den Kurt Böhme singt, ist ein Höhepunkt der Neuerscheinung.

Gottlob Frick ist sehr gut vertreten auf dem Musikmarkt. Kommt etwas hinzu, folgt die Frage auf dem Fuß: Was ist neu? Lohnt sich die Anschaffung?  Sammler dürften die meisten Titel kennen. Manche schätzen es aber auch, vertraute Aufnahmen in neuen Zusammenhängen gereicht zu bekommen. Eine Szenenfolge aus Verdis Don Carlos, einfach gezählt und nicht trackweise wie im Booklet, sind sieben Titel bisher nicht auf CD verfügbar gewesen. Dieser Carlos ist kein klassischer Opernquerschnitt wie die ebenfalls deutsch gesungene Aufnahme, die 1965 bei Eterna in der DDR erschien und nun im Katalog Berlin Classics zu finden ist. Produziert wurde 1963 das erste Bild des vierten Aktes – das „Kabinett des Königs zu Madrid“, wie es auf dem Eurodisc-Plattencover hieß. Es beginnt – in bestem Stereo – mit dem Philipp-Monolog „Sie hat mich nie geliebt“ (Gottlob Frick) und endet mit der Eboli-Arie „Verhängnisvoll war das Geschenk“ (Hertha Töpper). Dazwischen die unheimliche Begegnung des Königs mit dem blinden Großinquisitor (Kurt Böhme), die für mich zum Höhepunkt der Box wird. Es ist, als ob sich der Kampf zwischen weltlicher und kirchlicher Macht eben in dieser Szene wie ein gewaltiges Beben entlädt. Böhme agiert mit erbarmungsloser Kälte und giftigen, gar grellen Untertönen und verhilft so seinem Kollegen Frick dazu, den spanischen König auch mit menschlich-tragischen Zügen auszustatten. Das geht unter die Haut. Nur selten gelingen Opernszene im Studio so packend und realistisch wie hier, zumal die sich anschließende Auseinandersetzung Philipps mit der herbeieilenden Elisabeth (Hildegard Hillebrecht), in die auch Posa (Marcel Cordes) und Eboli einfallen, betont traditionell klingt, was zur Folge hat, dass Frick und Böhme noch mehr hermachen.

„O, wie will ich triumphieren“ Die Arie des Osmin aus Mozarts „Entführung“  sowie andere Opernszenen wurden von dieser Electrola-Single für die Edition überspielt. Das große Foto oben ist ein leicht eingefärbter Ausschnitt des Cover.  

Als Kontrastprogramm zu Carlos fallen zwei große Szenen aus Lortzings Zar und Zimmermann (Electrola) heraus, die nun ebenfalls erstmals auf CD greifbar sind: die Arien des Bürgermeisters van Bett „O sancta justizia“ und die Singschule „Den hohen Herrscher würdig zu empfangen“. Sie dürften einst als Singleplatte herausgekommen sein. Im Booklet wird zwar akribisch auf die Quellen – meist Electrola – mit ihren Veröffentlichungsnummern verwiesen, es wird aber nicht deutlich, in welchem Format bestimmte Aufnahmen ursprünglich erschienen sind. Käufer der Edition müssen – wenn sie das überhaupt wollen – selbst herausfinden, ob Arien oder Szenen als Einzel- oder innerhalb von Gesamtaufnahmen produziert wurden. Und sie müssen mitunter deutliche Unterschiede im Klangbild hinnehmen. Im Falle von Zar und Zimmermann ist die Quellenlage nicht so einfach. Frick war der Bürgermeister auch in einer Gesamtaufnahme und in mindestens einem Querschnitt. In dieser Position zieht er alle Register. Je nach Situation dreht er das Tempo seiner an sich schweren Stimme auf, um im nächsten Moment drei Gänge zurückzuschalten, wenn es gilt, ein Detail schwelgerisch auszukosten. Mühelos erhebt er sich aus den unterstes Registern hinauf ins Falsett. Er kann stimmlich penetrant, kleinkariert und verzweifelt sein, stolziert mit geschwellter Brust umher und macht sich im nächsten Moment bereits in Erwartung des hohen Herrschers klein wie eine Kröte. Selten hat ein Sänger in meinen Ohren so plastisch geklungen wie Frick. Es ist, ob er singend die Bilder der Szene gleich mitliefert. Sein rollendes R ist Legende. Bei aller Nonchalance im Vortrag, ist er ein Genauigkeitsfanatiker, der den Konsonanten noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken scheint als den Vokalen. Das versetzt ihn in die Lage, Wörtern und Begriffen den ihrem Sinn entsprechenden Ausdruck zu verleihen. Er ist immer zu verstehen. In beiden Bürgermeister-Szenen entfaltet er auch sein urkomisches Talent, und ich ertappte mich – den Philipp noch im Ohr – bei der Frage, ob seine Begabung in der so genannten Spieloper am Ende nicht noch größer sei als in ernsten und seriösen Rollen. Eine Antwort wird jeder für sich finden, zumal die Edition Vorlagen in überreichem Maße bereithält.

Gottlob Frick als König Heinrich im „Lohengrin“. Die Rolle war eine seiner besten Leistungen.

Auf Osmin folgt Bartolo in Figaros Hochzeit, auf Sarastro der Commendatore im Don Giovanni –Finale als italienisches Original. Dass Basilio und Bartolo in Rossinis Barbier, Baculus in Lortzings Wildschütz, Abdul Hassan im Barbier von Bagdad sowie Falstaff in Nicolais Lustigen Weibern nicht fehlen, versteht sich von selbst.  Was noch? Mit Szenen aus Halévys Jüdin, Orffs Kluger und Egks Zaubergeige, Verdis Simon Boccanegra und Sizilianischer Vesper sowie Tschaikovskys Eugen Onegin breitet Frick die reich bemessene Aussteuer eines Vertreters seines Fachs in seiner Zeit aus. Als Bonus ausgewiesen findet sich das Lied des Henkers aus der Funkoper Tandaradei von Hans-Hendrik Wehding, der dabei selbst am Pult der Sächsischen Staatskapelle steht. Wie der Name schon sagt, wurden Funkopern nicht für die Bühne, sondern für das Radio komponiert. Ob es sich bei dem Lied, das die Virtuosität in Fricks Gesangsstil auf verblüffende Weise offenbart, um einen Ausschnitt aus der ersten Produktion dieser Funkoper, die in Dresden zustande kam, handelt, bleibt offen. Sie dürfte aber noch während Fricks Dresdner Zeit entstanden sein, denn die Stimme klingt leichter und sogar durchsichtiger als in seiner späteren Glanzzeit. Als Quelle wird lediglich ein „Band der DRA“ (Deutsches Rundfunkarchiv) genannt.

Gottlob Frick galt als bodenständiger, bescheiden gebliebener Gemütsmensch, der sich gern „in sein am Waldrand gelegenes Haus“ in Ölbronn zurückzog, „um zu jagen, zu entspannen und den großen Freundes- und Verehrerkreis … zu empfangen“, heißt es im Booklet der Box. Seine Freizeitbeschäftigung hat sich in einer LP niedergeschlagen.

Nur einmal habe ich Frick auf der Bühne erlebt. Als Hagen. Das war im Oktober 1966 an der Berliner Staatsoper. Ich als  opernbesessener Jüngling besuchte zum erstmal eine Vorstellung der Götterdämmerung. In meinem Kopf war jeder Ton einer heimischen Schallplatte mit dem Wachgesang und der Mannen-Szene gespeichert. Das erste, was mir auffiel: Der ist aber klein. Bei seiner Stimme war ich auf einen Hünen von mindestens zwei Metern Körpergröße gefasst, zumal der Siegfried Ernst Gruber tatsächliche diese Maße hatte. Eines habe ich damals gelernt: Ein Sänger braucht nicht groß zu sein, um groß singen zu können. „Meine“ Platte mit der Staatskapelle Berlin und dem Chor der Deutschen Staatsoper unter Franz Konwitschny hat auch Einzug in die Gedenkedition gehalten. Eingefasst wird sie von Pogners Ansprache aus den Meistersingern und der Arie des Daland „Mögst du, mein Kind“ aus dem Fliegenden Holländer, die beide aus den hinlänglich bekannten und weitverbreiteten gesamtdeutschen Einspielungen dieser Opern stammen. Gute alte Bekannte sind auch die Auszüge aus Haydns Schöpfung und Jahreszeiten, die von Karl Forster geleitet werden. Wer gern Lieder jenseits von Schubert, Schumann oder Wolf hört, wird bei Frick fündig. Volksliedhafte Gesänge von Conradin Kreutzer, Franz Abt, Victor Ernst Nessler, Friedrich Zelter, Carl Michael Zierer oder Robert Stolz gelingen ihm viel zu rasant, als dass es sich lediglich um Gelegenheitsarbeiten gehandelt haben dürfte. Er scheint darin zu baden.  In den Liedern offenbart sich Frick zudem als – wie es im Booklet heißt – bodenständiger, bescheiden gebliebener Gemütsmensch, der sich gern „in sein am Waldrand gelegenes Haus“ in Ölbronn zurückzog, „um zu jagen, zu entspannen und den großen Freundes- und Verehrerkreis … zu empfangen“. Besonders häufig habe der Tenor Fritz Wunderlich den väterlichen Freund besucht. Mehr aus dieser denn aus einer rein künstlerischen Perspektive sind denn auch die gut zwanzig Minuten aus Smetanas Verkaufter Braut zu verstehen, die schon auf dem Cover der Box als „World Premiere“ angekündigt werden. Frick und Wunderlich singen das Duett „Komm, mein Söhnchen, auf ein Wort“ am 29. Juni 1964 in Ölbronn zum Klavier (Josef Blaser) offenbar bei einer privaten Veranstaltung. Und das sehr frei. Die Stimmung ist gelöst. Das Publikum nimmt mit gelegentlichen Einwürfen regen Anteil, erklatscht sich ein Da Capo und ist alles in allem hoch amüsiert. Und es dürfte auch dieses und jenes Gläschen gereicht worden zu sein. Rüdiger Winter

  1. Henning Beil

    Auch ich habe Gottlob Frick leider nur einmal life erleben dürfen – nämlich in derselben Götterdämmerung-Aufführung wie Sie. Das ist schon irgendwie bewegend. Als DDR-Bürger konnte man ja nicht nach München, Wien oder Stuttgart reisen. Auch ich kannte Frick von den herrlichen Platten. Er ist für mich der Inbegriff des dunklen Basses. Sein Hagen ist wirklich sensationell gewesen. Herzliche Grüsse nach Berlin

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